Elisabeth Mehrl

Dem Schönen

Textbeiträge: Elke Keiper
Dr. Stefan Lindl, Dr. Björn Vedder
104 Seiten, 88 Abbildungen
KERBER VERLAG 2021
ISBN 978-3-7356-0779-9

Kosmos der Möglichkeiten

„Einfach und klar“ sollen die Motive sein, die Elisabeth Mehrl in ihren Bildern auf vielfältige Weise durchspielt und immer wieder neu fasst. Waren es in ihren Anfängen als Malerin noch einfarbige, bauchige Gefäße, Vasen auf ebenfalls einfarbigem Grund, so ist es inzwischen die womöglich noch präziser gewählte, oft zur Kette oder zum Armband geknüpfte Perle. Ihre runde Form ist ebenmäßig, als Kugel hat sie keine Ecken und Kanten und damit auch keine Richtung, keinen Anfang und kein Ende. Perfekt verkörpert die Perle Vollkommenheit und Reinheit; sie steht für Unendlichkeit und ist ebenso, wie die aufwendig geschliffenen Edelsteine in den neueren Bildern, seit jeher ein Symbol für Schönheit und Luxus. Damit stellt Elisabeth Mehrl ein gewichtiges Ikon in den Mittelpunkt ihrer Arbeit – inhaltlich aufgeladen und verknüpft mit vielen, geradezu archetypischen Bedeutungszuschreibungen. In diesem Zusammenhang verweist Björn Vedder in seinem Text über die Arbeit von Elisabeth Mehrl zum Beispiel auch auf den „Fetischcharakter der Dinge“, der deren Wert erhöht (1). Dass Perlen und kostbare Schmuckstücke auf so vielfältige Weise symbolträchtig sind, macht die Bilder nur umso spannender.

Neben dem Symbolwert des gewählten Sujets gehört zur Inhaltlichkeit dieser Bilder aber auch, wie hier mit sparsamen Mitteln eindringliche Stimmungslagen inszeniert sind: Da wird „In der Nacht“ eine schwarze Perlenkette auf einer dunklen, leicht spiegelnden Fläche dargeboten, die über ein Drittel der Bildfläche hinweg, alles Licht zu absorbieren scheint. Selbst die matten Lichtreflexe auf den runden Perlen betonen nur die dichte, fast unheimliche Atmosphäre. Hier, wie auch in vielen anderen Bildern, bleibt der Ort des Geschehens – oder besser gesagt, des Auftritts der jeweiligen Perlenkette seltsam unbestimmt und diffus. Meist vom Bildrand angeschnitten, scheinen die Stücke im nebligen Nirgendwo zu schweben, manchmal durch einen zarten Schatten vage verortet, manchmal völlig schattenlos und wie ausgeschnitten auf den rosafarbenen Bildgrund montiert. Hier hat „Das Leben der Wünsche“ keinen beschreibbaren, realen Ort. Das Perlenarmband wird vielmehr zu einem besonders einprägsamen visuellen Zeichen, das einfach und klar, sofort als körperliches Objekt gefasst werden kann und doch in eine eigenartige Zwischenwelt verwiesen wird – eine Zwischenwelt, wie sie speziell die Malerei erzeugen kann. Dies wird endgültig offensichtlich, wenn sich silbrig-graue Perlen von ihrem mimetischen Dasein emanzipieren und als zweidimensionale, weiße Kreise über den hellgrauen Bildgrund wandern, wie „Im Weiß“.

Fragt man Elisabeth Mehrl, woher die Vorlagen für ihre mattschimmernden Perlenketten und für die neuerdings inszenierten, deutlich farbigeren Broschen eigentlich kommen, so sucht und findet sie diese als Anzeigen in Magazinen, in Geschäftsauslagen oder im Internet. Sie dienen ihr allerdings weniger als Vorlage, sondern sind vielmehr Anstoß für die nach eigenen Vorstellungen weiterentwickelten Motive. Auch diese Vorgehensweise, die Aneignung und freie Neukonstruktion, verweist darauf, dass es in diesen Bildern nicht nur um eine inhaltliche Argumentation geht, sondern ebenso um Fragen an die Malerei. Letztere werden entweder direkt im einzelnen Bild zur Sprache gebracht, oder durch kombinatorische Verfahren thematisiert, wie sie seit langem zum festen Bildvokabular von Elisabeth Mehrl gehören.

Ein perfektes Beispiel für einen solchen Kipp-Effekt im Einzelbild zwischen Inhalt und Form, zwischen Dargestelltem und Darstellung ist „Im Gold“. Hier wird die schwarzgraue Leere des zunächst nicht genauer definierten Bildraums von einem ringförmigen Bildobjekt, einer goldenen Kette umfasst, beziehungsweise eingerahmt. Aber diese gemalte Leere fließt als graue Farbe über die Darstellung und tritt damit als visuelles Element besonders in Erscheinung. Hier werden die Fragen nach dem Hintergrund und Vordergrund, nach Illusion und deren Auflösung im Bild selbst formuliert. Auch bezüglich des Motivs entsteht dadurch eine gewisse Unsicherheit: Was ist hier gemeint – die Darstellung oder die Illusion des Dargestellten? So spielt Elisabeth Mehrl im Bild auf vielen Ebenen mit der Vergänglichkeit des schönen Scheins: Sie führt sichtbar vor, wie die goldgelbe Farbe malerisch erzeugt und malerisch wieder entfernt werden kann. Bezogen auf das Bildmotiv deutet sich ein Verschwinden der goldenen Kette an und im übertragenen Sinne, damit auch die Endlichkeit allen Strebens nach Reichtum und materiellen Besitz.

„Was bleibt“ fragt auch eine Art Schlüsselbild, das weitere Möglichkeiten der malerischen Emanzipation erprobt. Die mit zwei Grautönen angedeuteten, aber nicht näher definierten breiten Streifen des Hinter- oder Untergrunds bieten das Display für eine illusionistisch gemalte Perlenkette, die sich auf dem eigentlich matten Untergrund spiegelt. Scheinbar willkürlich darüber gelegt ist ein Netz aus Linien mit zahlreichen Schnittpunkten, die ihrerseits auf Augenhöhe der Perlenkette durch weiße, kreisförmige Flächen markiert sind. Auf der inhaltlichen Ebene könnte man hier an ein neuronales Netz denken, dessen Aktivitäten dort besonders aufblinken, wo sich das Bild der kostbaren Perlenkette in die Retina der Betrachter*innen einbrennt und Begehrlichkeiten weckt.

Diese eigenwillige Netzstruktur begegnet uns dann in den neuesten Arbeiten der Malerin wieder, der „Grammatik des Schönen“. Hier sind es Bildpaare, die die Künstlerin zu einem disparaten Bild zusammenbringt. Damit steht sie in einer langen Tradition der modernen und zeitgenössischen Malerei, die zahlreiche Möglichkeiten erschlossen hat, um Bilder inhaltlich oder symbolisch aufzuladen. Das sind zum Beispiel verschiedene Collagetechniken bis hin zu ins Bild eingefügte dreidimensionale Gegenstände, wie bei Robert Rauschenberg oder später Julian Schnabel, oder die aus mehreren Leinwänden zusammengesetzten Bilder eines David Salle. Auf die säkularisierte, moderne Variante der mittelalterlichen Klappaltäre bezieht sich auch Elisabeth Mehrl, wenn sie zusammengesetzte Bilder oder Diptychen entwickelt. (2) Aber was leistet diese Form, in der beide Teile zunächst selbständig sind und erst über ihre Nähe und Berührung miteinander in Beziehung treten? Bei den etwas älteren Bildern „Es war einmal“ und „Es wird einmal“ handelt es sich jeweils um ein Bild, das so eng aus zwei Teilen zusammengesetzt ist, dass beide Elemente miteinander verschmelzen, obwohl sie als Gegensätze konstruiert sind: Oben ein neutraler, schwarz oder grau gehaltener Bildgrund, auf dem in überzeugend illusionistischer Manier eine Perlenkette dargeboten wird, unten ein Streifen- beziehungsweise Schachbrettmuster. Zudem werden die zusammenmontierten Bilder als Einheit gelesen, da ihre gemeinsame Farbigkeit zwischen beiden Teilen vermittelt. So wird zum Beispiel die zarte grau-rosa Farbmischung der helleren Streifen, die hier aus dem Hintergrund aufscheint, im oberen Bildteil zur schimmernden Oberfläche der Perlen.

In der „Grammatik des Schönen“ verstärkt Elisabeth Mehrl diese Konfrontation der disparaten Bildteile. Hier kumuliert der Gegensatz zwischen Gegenstand und Form, der in diesem doppelten Bildangebot liegt, jetzt nochmal zugespitzt durch die verwendeten Techniken: Hier das immer gleiche, ornamentale Muster, mit einem Siebdruckverfahren auf den einfarbigen Untergrund gebracht, dort das zwar locker gemalte, aber mit Abstand betrachtet, immer noch illusionistische Motiv. Angesichts dieser Bewegung vom Inhaltlichen hin zur Form ist auch der gewählte Titel der Serie sprechend, stellt sie doch die Frage nach den Mitteln der Bildfindung nochmal neu.

Der „Kosmos der Möglichkeiten“, eine Reihe von Bildern mit Nahsichten von kunstvoll geschmiedeten Broschen, geht schließlich ins Serielle über. Die Variationen eines Motivs im immer gleichen Format ist für Elisabeth Mehrl jedoch keine neue Entdeckung, sondern zum Beispiel in „Vergangen ist immer“, einer Serie von angeschnittenen, weißen Perlenketten auf dunkelgrauem Grund, bereits erfolgreich erprobt. Auch wenn in den neuesten Arbeiten zusätzlich noch die Frage nach dem Ornament aufscheint, so ist beiden Serien das Spiel mit der Reihenbildung gemeinsam. Entsprechend an der Wand installiert, leisten sie eine „spezifische Strukturierung von Raum und Zeit… Die in diskreten Einheiten fortschreitende Struktur des gestalteten Objekts taktet den Ablauf des Sehens und schafft auf diese Weise eine Rhythmisierung des Zeitflusses.“ (3)

Die Einführung eines zeitlichen Elementes wird in den neuesten Diptychen von Elisabeth Mehrl aufgegriffen und direkt ins Bild verlegt. In der „Grammatik des Schönen“ werden jeweils die Abbildung eines Schmuckstücks mit einer gleichgroßen, gestreiften Bildtafel konfrontiert. Hier führen die Streifenbilder eine Art zeitliches Moment ein: Das Flimmern der Farbstreifen suggeriert Taktung und Verlauf. Aber auch die vermeintlich statischen Broschen sind vom Bildrand angeschnitten wie sich bewegende Flugobjekte, die den Ereignishorizont gerade verlassen. Ebenso wie die angeschnittenen Perlenketten aus früheren Bildern verweist das Fragmentarische hier auf Zeitlichkeit – auf Bewegung ins Bild oder aus dem Bild heraus – und auf die Möglichkeit des Unendlichen und damit auch auf eine metaphysische Dimension.

Die eingangs als „einfach und klar“ beschriebenen Bilder verstehen es, die inhaltliche Aussagekraft des mimetischen Zeichens (und dessen Symbolwert) zu nutzen und doch ganz der Malerei verbunden zu bleiben. Dabei können die malerischen Entscheidungen die inhaltliche Aussage und Bedeutung der Bilder verstärken oder konterkarieren, bis hin zu malerisch autonomen Verfahren. Der Wechsel zwischen Flächigkeit und Plastizität, aber auch Fragen nach Raum und Zeit spielen in diesen Bildern ebenso eine Rolle, sowie das Austarieren von Illusionismus und Vorstellungsbild sowie das Offenlegen der malerischen Mittel: So kommt Elisabeth Mehrl in vielfacher Weise zu Bildern voller subtiler Anspielungen über die Natur des schönen Scheins.

Elke Keiper, Städtische Galerie Waldkraiburg

(1) Björn Vedder, Das Leben der Wünsche – Konzeptuelle Malerei von Elisabeth Mehrl
(2) Vgl. Zum Diptychon der Kunst des 20. Jahrhunderts: Kat. Ausst. Essen 1992
(3) Hans Zitko, Der Ritus der Wiederholung, in: Hilmes, Carola – Mathy, Dietrich (Hrsg.): Dasselbe noch einmal. Die Ästhetik der Wiederholung, Wiesbaden, 1998, S. 159–183.

Elisabeth Mehrl

Das Leben der Wünsche

Textbeitrag Dr. Björn Vedder
66 Seiten, 39 Abbildungen
Hrsg. Elisabeth Mehrl, 2018

„Das Leben der Wünsche“ – Konzeptuelle Malerei von Elisabeth Mehrl

Björn Vedder (Einführungsrede Ausstellung Stadtgalerie Museum Deggendorf, 2017)

Konzeptuelle Malerei – damit scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch verbunden zu sein, gilt doch die Konzeptkunst als inhaltsbetonte, analytische Kunst, die der Malerei gegenübersteht.  Der Gedanke ist hier vorrangig, es geht um das Konzept, also um den Begriff und um das geistige Umfassen oder begreifen, die Ausführung und die sinnliche Wahrnehmung sind dagegen zweitrangig. So hat etwa Marcel Duchamp die Konzeptkunst von der Malerei als „retinaler Kunst“, die effekthascherisch auf das Auge zielt, unterschieden.[1] Wenngleich die Konzeptkunst also großen Wert auf das Erfassen durch den Betrachter legt, versteht sie das doch vor allem geistig, die sinnliche Rezeption und das Sehen selber werden hingegen weitestgehend ausgeblendet.

Auf diesen Mangel kann die Malerei reagieren, indem sie als – als konzeptuelle Kunst – das Sehen mit dem geistigen Erfassen des Konzepts verbindet.

Mehrls Bilder erreichen das durch eine „Zweischichtigkeit des Bildes“ (Arnold Gehlen), bei der Fläche und Gegenstand gegeneinander stehen. Die Fläche verselbstständigt sich zur Reizfläche eigenen Rechts und hält die Dinge dennoch fest. Diese Dinge, also die abgebildeten Gegenstände, Mehrls Schmuckstücke, führen den Blick ins Bild; er kann jedoch nicht durch das Bild hindurch in eine illusionäre Welt abtauchen, sondern die Fläche bremst ihn ab und hält ihn fest. So entsteht eine Spannung zwischen der Fläche und dem abgebildeten Gegenstand. Der Blick springt am Gegenstand in den Flächenreiz der Bildfläche über und hemmt die unmittelbare Einfühlung in das vom Bild Dargestellte. In diesem „stehenden Reflexionszustand optischer Helle“, wie Gehlen schreibt, wird das Sehen auf sich selbst zurückgeworfen und zum Gegenstand der Bilderfahrung. Zugleich tritt in diesem Moment „perplexer Wachheit“ das im Bild erfasste oder zu erfassende Konzept deutlich hervor. [2]

Das ist bei Elisabeth Mehr der Fetischcharakter der Dinge. Er besteht, wie Sie als Marxleser sicher wissen, darin, dass  bei einem Ding der Tauschwert größer ist als Gebrauchswert. Dieser Festischcharakter der Dinge ist bei Schmuck ganz offensichtlich, denn sein Gebrauchswert tendiert gegen Null, sein Tauschwert kann aber ganz beträchtlich sein.[3]

Der Grund für diesen Überschuss liegt in der imaginären Aufladung des Dinges. Diese Aufladung können Sie sich an religiösen Götzen gut vor Augen führen. Ihnen werden in der Vorstellung derer, die an sie glauben, magische Kräfte zugeschrieben.[4] Für andere Fetische ist das ganz ähnlich.

Im einem weiteren Sinne finden wir diese Aufladung der Dinge mit einer imaginären oder symbolischen Bedeutung auch bei ganz einfachen und in erster Linie sogar zweckmäßigen Dingen. Denken Sie etwa an einen Pflug. Er ist nicht nur ein Werkzeug, mit dem wir etwas machen, also das Feld pflügen, sondern in ihm drückt sich auch unsere Fähigkeit dazu aus – also das Feldbestellen und die Natur beherrschen zu können. Deshalb finden wir ältere Pflüge z.B. geschmückt oder mit Schnitzereien verziert. Sie sind nicht bloß irgendwelche Dinge, sondern etwas, das wir zu etwas gebrauchen, der Philosoph Martin Heidegger würde sagen „ein Zeug“. Und wir benutzen sie um damit etwas zu erreichen.[5] Indem sie ein Werkzeug für uns sind, haben sie nicht nur einen Gebrauchswert für uns, sondern in ihnen drücken sich auch unser Tun und unsere Zwecke aus, die wir damit verfolgen. Die Summe unseres Hausrates, so dachte die romantische Ökonomie, kann uns als Person vertreten. In der kapitalistischen Wirtschaft wird die Auslagerung  unserer vorgestellten Identität in die Dinge massiv verstärkt. Die Dinge, die wir besitzen und benutzen, sind für uns opak mit Bedeutung umlagert. Sie sagen etwas darüber aus, wer wir sind oder sein wollen. Das gilt umso mehr, desto stärker wir sie nicht nur als irgendein Zeug anzusehen, das wir zu etwas zu gebrauchen, sondern in ihnen die Möglichkeit suchen, uns auszudrücken, sie als Zeichen für unsere Persönlichkeit, unsere Wünsche und Träume, Hoffnungen oder Erinnerungen zu verwenden. In Ihnen zeigt sich dann, wie der Titel der Ausstellung sagt, „das Leben unserer Wünsche“. Die Sammlung von persönlichem Schmuck, die Elisabeth Mehrl in einer Nische links vom Eingang ausgestellt hat und die sie als „My Personal (Be)Longings“ bezeichnet hat, macht das sehr anschaulich.

Allerdings ist dieser Fetischcharakter, den ein Großteil der von uns benutzen und konsumierten Dinge für uns heute hat, schwer zu sehen, denn sie sind in einen Produktions- und Konsumtionskreislauf eingebunden. Aus diesem müssen wir sie herausholen, wollen wir über sie nachdenken. Der Ort dafür ist das Museum, ein Ort der Reflexion und der symbolischen Selbstvergewisserung. In diesem Sinne hat schon die Pop-Art, denken Sie etwa an Andy Warhols Brillo Box, Konsumgegenstände aus dem Produktions- und Konsumtionskreislauf herausgeholt und sie uns zum Nachdenken darüber hingestellt.

Allerdings haftet den von der Pop-Art favorisierten Gegenständen noch die Flüchtigkeit des Konsumprodukts an und d.h. des Produkts, das durch Zerstörung und Verbrauch gekennzeichnet ist. Aber nicht nur die Dinge, die wir konsumieren, werden zerstört, verbraucht und verwandelt, auch wir verändern uns, wenn wir etwas konsumieren. Unsere Komsumtion kehrt das in der (handwerklichen) Produktion gestiftete Verhältnis von Persönlichkeit und Stoff um. Die Produktion ist die Einprägung der Persönlichkeit in den Stoff. Wir werden die Sofakissen, auf denen wir sitzen. „Wir sind“, wie es Friedrich Nietzsche formuliert hat „Ackerland für die Dinge.“[6]

Deshalb lässt sich der Fetischcharakter der Dinge vielleicht an solchen Dinge am besten beobachten, die durch den Konsum möglichst wenigsten verbraucht werden, aber dennoch imaginär stark aufgeladen sind wie z.B. der Schmuck. Dafür müssen wir ihn freilich ins Museum holen, wie hier nach Deggendorf, und ihn in den „stehenden Reflexionszustand optischer

Helle“ setzen, wie das Elisabeth Mehrl in ihren Bildern tut. Dann aber können wir sehen, wie unsere Wünsche in und an ihnen Leben. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.

Einführungsrede, Galerie im Stadtmuseum Deggendorf, 2017


[1] So Duchamps in einem Gespräch mit Pierre Cabanne von 1966. Pierre Cabanne, „A window onto something else“, in: Ders., Dialogues with Marcel Duchamps, übers. v. Ron Padget, London 1971, S. 28-50, hier 38f. [2] Arnold Gehlen, Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt/Main u. Bonn, 1965, S. 64ff. [3] Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Hamburg 1890, (=MEW Bd. 23), S. 85ff. [4] Vgl. dazu und zum Folgenden: Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg, 2006. [5] Martin Heidegger, Holzwege, Frankfurt/Main 1950, S. 18ff. [6] Friedrich Nietzsche, „Nachlass von 1881“, 11 [21], Kritische Studienausgabe, Bd. 9, hg. hg. v. Giorgio Colli u. Mazzimo Montinari, Berlin 1999, S. 451. In der maschinellen Produktion und Massenwirtschaft kann von einem Einprägen der Persönlichkeit des Handwerkes in den Stoff freilich keine Rede mehr sein, in der Konsumtion gilt das Verhältnis aber noch, und das führt hier zu einem Konsumstress, wie etwa Wolfgang Schivelbusch schreibt, auf dessen Ausführungen ich mich hier beziehe. Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über Komsumtion, München 2015. Wie sehr der Konsum unsere Persönlichkeit prägt, zeigt auch Christoph Menke, „Ein anderer Geschmack. Weder Autonomie noch Massenkonsum“, in: Ders. u. Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression, Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, 2. Aufl., Berlin 2012, S. 226-239.

Elisabeth Mehrl

Von den Sehnsüchten

Textbeiträge: Dr. Andreas Kühne und Christoph Sorger
Dr. Hannah Stegmayer
96 Seiten, 85 Abbildungen
Hrsg. Kunstverein Rosenheim, 2006
ISBN  3-939446-04-1

Von den Sehnsüchten

Über die Bilder von Elisabeth Mehrl

Sehnsüchte sind etwas Paradoxes, zugleich konkret und ungreifbar. Aus dem Unbewußten kommend, materialisieren sie sich gleichsam, indem sie sich an Dinge heften. Dieser Prozeß vollzieht sich schon so lange, wie Menschen Sehnsüchte haben. Sehnsüchte bedürfen der Dinge, um Erfüllung zu finden. Ihre Materialisierung scheint sie greifbar zu machen und auf den Punkt zu bringen, was sich aber letztlich als trügerisch erweist.
Sehnsüchte laden die Dinge auf. Die Objekte sind dann nicht mehr nur sie selbst, sondern sie bekommen eine Aura hoher und höchster Bedeutsamkeit, die zugleich immens spürbar und nur schwer gedanklich, das heißt in Worten, zu fassen ist. Sie sind zu Zeichen, zu Symbolen eines ersehnten Seinszustandes geworden, der mit ihrer Erlangung verknüpft ist. So können sie auch magisches Objekt oder im Wortsinne Fetisch sein, ein Gegenstand religiöser Verehrung, dem übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Denn Sehnsüchte erfüllen sich letztlich nicht im Umgang mit Dingen, wie sehr sie sich auch an diese klammern mögen.
Sehnsucht zielt im letzten auf etwas, das nicht hier ist, das in der Welt keinen Ort hat, wenigstens noch nicht oder vielleicht auch niemals haben wird. “Utopie” nannten dies jene Generationen, die an die Erfüllung ihrer Sehnsüchte im Reich des Politischen glaubten.

Elisabeth Mehrl ist in ihrem Werk seit Jahren den Sehnsüchten auf der Spur. Genauer gesagt, sucht sie nach ihrer scheinbaren Materialisierung in den Dingen. Immer wieder beschwört sie in ihren Bildern die Objekthaftigkeit formvollendeter Gegenstände. Konsequent inszeniert sie gerade das Moment des auratischen Aufgeladenseins, indem sie ihre Bildgegenstände jedes konkreten Kontextes entkleidet und sie ohne alles erzählerische Beiwerk präsentiert. Als Gegenstände hat sie sich Dinge gewählt, die in hohem Maße von dieser Aura umgeben sind: Ringe, Armreife, Perlenketten, kurz gesagt, Schmuck in verschiedensten Formen. Oft treten sie übergroß in ihrer Vereinzelung vor den Betrachter. Sie können sich scharf konturiert und geradezu körperlich vom Hintergrund abheben, sie können aber auch aus der scheinbaren Monochromie einer blauen oder gelben Fläche gleichsam im Akt des Betrachtens auftauchen und den Eindruck einer traumartig unauslotbaren Tiefe des Raumes erzeugen. Die Begegnung mit Elisabeth Mehrls Bildern ist eine sinnliche, von Gefühlen getragene Erfahrung, die weit hinein führt ins eigene Innere. Dadurch unterscheiden sich ihre Arbeiten grundlegend von denen der Pop Art, die Alltagsgegenstände in sakrale Ikonen zu verwandeln versuchte. Die Aura, die ihre Bilder erzeugen, ist von anderer Art.

Schmuckgegenstände scheinen schon immer faszinierend gewesen zu sein. Es gibt kaum jemanden, der sich ihrem Zauber ganz entziehen kann. Menschliche Gesellschaften, die gänzlich ohne Schmuck auskommen, sind bis jetzt noch nicht entdeckt worden. Menschen schmücken das, was sie herstellen, primär aber den eigenen Körper, durch Bemalung, Tätowierung, Frisuren oder durch Gegenstände: Ketten, Finger-, Ohr- oder Nasenringe, Broschen und dergleichen. Man kann das Bedürfnis nach Schmuck getrost als anthropologische Konstante des Homo sapiens bezeichnen. Bereits in der Altsteinzeit tauchen sie auf, die durchbohrten Knochen, Muscheln oder Tierzähne, die als aufgefädelte Perlen zu Halsketten und Arm- oder Beinreifen verarbeitet wurden. Die Frage, warum sich Menschen schmücken, läßt viele Antworten zu. Schmuck erfüllt mehr als nur eine Funktion. Reine, zweckfreie Freude am Schönen allein wird es nicht gewesen sein, die Menschen in frühen Kulturen dazu antrieb, Ketten aus Samenkapseln oder Muscheln zu fertigen und zu tragen. Die Ästhetik, die ja eine ziemlich späte “Errungenschaft” der westlichen Menschheit ist, dürfte vom Zeichen- und Symbolcharakter dieser ersten Schmuckgegenstände untrennbar gewesen sein. Der spanische Paläoanthropologe Juan Luis Arsuaga formuliert es so: “Das Individuum übergibt seine Identität an die Schmuckobjekte, die wiederum am Körper getragen werden und den Körperausdruck unterstützen.” (1) Wie wichtig diese Funktion ist, zeigt sich u.a. darin, dass die Seltenheit und Kostbarkeit des Materials offenbar schon früh eine wichtige Rolle zu spielen begann. Die Geschichte des Schmucks ist auch die Geschichte edler oder zumindest schwer beschaffbarer und dadurch kostbarer Werkstoffe. Bernstein, der in Europa vorzugsweise im Ostseeraum gefunden wird, ist seit dem Neolithikum ein beliebtes Material für Schmuckgegenstände wie Perlenketten und Anhänger, und in der Bronzezeit avancierte er zum Exportschlager des nördlichen Mitteleuropa und fand seine Abnehmer im gesamten Mittelmeerraum. Gold, Silber, Edel- und Halbedelsteine blieben bis zum Aufkommen von Mode- und Designerschmuck die privilegierten Materialien für die Schmuckherstellung.

Schmuck zeichnet den Träger aus. Er erhöht die Attraktivität – besonders, aber nicht allein auch die erotische – und signalisiert Besonderheit. Er verkörpert in hohem Maße Sehnsucht nach Liebe und Geliebtwerden, Anerkanntwerden, Sicherheit und Geltung. Damit verbunden ist eine weitere Funktion, die die erste überlagert: Über Jahrtausende gab Schmuck auch über die gesellschaftliche Stellung und Bedeutsamkeit des Trägers Auskunft. Seine rein dekorative Funktion tritt erst seit rund 200 Jahren in den Vordergrund: Mehr oder weniger kann man die Französische Revolution von 1789 als Wasserscheide ansetzen. Erst seit jener Zeit entscheiden primär Mode, persönlicher Geschmack und finanzielles Vermögen darüber, wer welches Schmuckstück trägt. Daß die gesellschaftliche Stellung eines Menschen heute nur noch sehr bedingt an seinen Ringen oder Ketten ablesbar ist, heißt allerdings nicht, daß Schmuck heutzutage nur noch schmückt. Nach wie vor kann er auch Erkennungszeichen sein für Gleichgesinnte und Eingeweihte oder für Angehörige von Subkulturen.

Der Glaube, Schmuck ziehe den Blick eines feindlichchen Wesens – sei es nun ein Geist oder ein Mensch – auf sich und lenke ihn damit vom Träger ab, ist weit verbreitet und vielfach belegt (2) und gehört keineswegs der Vergangenheit an. In arabischen Ländern schützen blaue Perlen Kinder, Bräute, Haustiere und sogar Autos vor Unheil. Eine Reihe magischer und abergläubischer Vorstellungen ist mit dem Ring verbunden. Man hat sie zurückgeführt auf die Form des Ringes, das “geheimnisvolle, in sich selbst zurücklaufende Rund”, das es nahelegte, auf den Ring die mit dem Zauberkreis verbundenen Auffassungen zu übertragen. Und man hat bereits in der Antike den Ring als ein Symbol der Bindung interpretiert (3). Zum dauernden Zauber, den Schmuck ausübt, trägt auch noch etwas anderes bei: Das Element des Vollkommenen, das für Dauer, ja für Ewigkeit steht. Wirklicher Schmuck verkörperte immer auch Vollkommenheit: durch kostbare Materialien ebenso wie durch die Kunstfertigkeit ihrer Verarbeitung und das Ebenmaß seiner Formen. Daß wertvolle Schmuckstücke von einer Generation auf die andere vererbt werden, ist vielleicht auch ein sprechender Ausdruck für die Sehnsucht nach dauerndem Bestand.

Geblieben bis heute ist die Aura der Objekte, in der Zeichenhaftes auch unbewußt mitschwingt. Wir sind – überschwemmt von der tägliche Flut der Bilder und Zeichen – oft nicht mehr imstande, sie wahrzunehmen.
Elisabeth Mehrls Bilder verführen zur genauen Wahrnehmung, die eine Voraussetzung des Gewahrwerdens ist. Sie tun dies unter Verzicht auf alle illustrativen oder anekdotischen Momente und ohne augenzwinkernde Verweise auf verborgene Bedeutungen. Sie betonen die Körperhaftigkeit der Gegenstände, so dass die Perlenketten, Armreife und Ringe eine geradezu unheimliche Präsenz gewinnen. Paradoxerweise erreicht die Malerin das nicht in erster Linie durch eine realistische Darstellung, sondern durch Strategien der Verfremdung. Übergroß oder auch ausschnitthaft präsentieren sich die Objekte, wie durch den Linsensatz eines Kameraobjektivs gesehen, vor bzw. innerhalb von Farbräumen, die ihnen einen unwirklichen Ausdruck verleihen. So gewinnen sie eine geradezu abstrakte Qualität, die mitunter daran zweifeln läßt, womit man es zu tun hat. Ob es sich zum Beispiel um ineinander verschlungene Bandringe handelt oder um eine Pflanzendarstellung, die den Fotografien verwandt ist, die Karl Blossfeldt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts inszenierte und die organisches Gewebe wie Metallskulpturen erscheinen lassen. Da können Perlen – je nachdem, ob man sie aus der Nähe oder von Ferne sieht – wie plastische Objekte wirken oder geradezu physiognomisch erscheinen und einen begreifen lassen, worauf der Glaube an ihre apotropäische Wirkung beruhen mag. Auf einem anderen, ganz in Grün getauchten Bild meint man lebende Schlangen zu sehen – oder handelt es sich um die Windungen eines starken Metalldrahtes, aus dem Ringe oder Armreifen erst noch werden sollen? Eindeutigkeiten sind nicht beabsichtigt. Nur am Rande sei bemerkt, daß Schlangen ein häufiges Schmuck-Motiv sind, beladen mit religiösen und magischen Vorstellungen.

Oder die Gegenstände sind klein und wechseln auf schachbrettartig aufgebauten Bildern mit Strukturen, die labyrinthisch mäandern und den Blick verwirren, der ihre Regelhaftigkeit zu ergründen sucht. Der Status der Gegenstände ist oft fraglich: sind es vielleicht Anhänger, haben sie eine Bedeutung, die sich dem Betrachter nicht preisgeben will oder handelt es sich vielleicht nur um eine Art Spielzeug? An ihrer Existenz besteht jedenfalls kein Zweifel. Elisabeth Mehrl erweist sich als eine Malerin, der man ihren Pinselduktus glaubt. Die Bildwelten, die sie schafft, stehen zur Welt der sogenannten äußeren Realität in keinem mimetischen Verhältnis – mögen die Ringe und Ketten auch noch so detailverliebt und zum Anfassen real dargestellt sein. Die Wirklichkeit, um die es ihr geht, ist die Wirklichkeit in uns selbst, die Welt unserer Hoffnungen und Phantasien. Vieldeutig schweben die Dinge auf ihren Bildern – verlockend und schön, zum Greifen nahe und sich zugleich entziehend. Es haftet ihnen auch ein Moment der Zeitlosigkeit an. So dürfte es schwer fallen, Elisabeth Mehrls Ringe mit ihren charaktervollen Köpfen und Profilierungen einer bestimmten Kunstepoche zuzuweisen.
Das nimmt den Bildern nichts von ihrer Lebendigkeit, sondern bestärkt uns in der Überzeugung, dass es sich hier nicht um eine affirmative oder ironische Beschwörung der Konsumwelt handelt, in der wir leben. Ralph Waldo Emersons Diktum von den “Dingen, die im Sattel sitzen und die Menschheit reiten” beleuchtet nur die eine Seite von Elisabeth Mehrls Schmuck-Kosmos. Die andere wird durch den Titel eines Stückes von Calderón beschrieben: “Das Leben – ein Traum”.

Andreas Kühne und Christoph Sorger

Zitatnachweise:

(1) Arsuaga, Juan Luis: Der Schmuck des Neandertalers. Hamburg, Wien: Europa Verlag 2003, S. 317

(2) Bächtold-Stäubli, Hanns (Hrsg): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin: de Gruyter 2000 (Stichwort: Schmuck)

(3) ebd. (Stichwort:Ring)

On Longings

About paintings by Elisabeth Mehrl

Longings are something of a paradox, being both concrete and intangible at once. Coming from the unconscious they become material by attaching themselves to things. This process has gone on for as long as human beings have had longings. Longings need things in order to find fulfillment. In becoming material, they also seem to become tangible, yet in the final analysis this appearance proves deceptive.

Longings charge things, which thus become more than just objects, acquiring an aura of high and even highest importance, something that makes itself felt intensely while it simultaneously eludes conceptual thinking and is hard to put into words. Objects have turned into signs, symbols of a yearned-for state of being into which one enters on obtaining them. Thus they may even become magic objects or fetishes in the literal sense, objects of religious adoration to which supernatural powers are ascribed. For in the end longings do not find fulfillment in the realm of things, however much they may cling to them.

Longing aims at something that is not here, that has no place in this world, at least not yet, and perhaps never will. Those generations that believed the fulfillment of longings lay in the realm of the political called this “utopia.”

For years Elisabeth Mehrl has been tracking longings in her work. More precisely, she has been searching for their apparent materialization within things. Again and again she conjures in paintings the thingness of perfectly shaped objects. With great consequence she highlights the moment of their auratic charge, stripping objects from any concrete context and presenting them without any narrative apparatus. Subjects she chooses are surrounded by this aura to a high degree: rings, bracelets, strings of beads, in short: jewellery in the most varied forms. Often they appear before the viewer over life-sized in their isolation. They may stand out sharply contoured and almost corporeal from their background, yet they also may surface on the apparent monochrome of a blue or yellow plane and evoke the impression of a dream-like and unfathomable depth of space and time. An encounter with Elisabeth Mehrl’s paintings is a sensual and emotional experience that leads deep into one’s own interior. In that, her works differ fundamentally from Pop Art, which sought to transform everyday objects into sacred icons. The aura that Elisabeth Mehrl’s paintings create is of another sort.

Jewellery seems always to have been fascinating. There is hardly anybody totally immune to its magic. Human societies that can get on entirely without adornment have not yet been discovered. Human beings decorate whatever they manufacture, and above all they decorate themselves with painting, tattooing, and hair dressing or by wearing objects like necklaces, rings on fingers and ears and nose, brooches and the like. We can safely designate the need for adornment as an anthropological constant in Homo sapiens. Adornment already appears in the Palaeolithic: bones, shells or animal teeth with drilled holes for making into necklaces, bracelets, and anklets.

The question of why people adorn themselves has many answers. Jewellery fulfills more than just one function. It will not have been pure and purposeless rejoicing in beauty that drove people in early cultures to string and to wear seed pods or shells. Aesthetics, a rather late “accomplishment” of Western humanity, may well have been inseparable from the signifying and symbolic character of these first trinkets. The Spanish palaeoanthropologist Juan Luis Arsuaga formulates it thus: “The individual transfers his identity to the objects of adornment, which in turn are worn on the body, thus reinforcing that body’s expression.” (1) The importance of this function shows, among other things, in the rarity and costliness of material that seems early on to have begun playing an important role. The history of jewellery is also the history of raw materials that are precious or at least hard to get and thus highly prized.

Amber, which in Europe is found mainly on the shores of the Baltic, has been a favourite material for jewellery like beads and pendants since the Neolithic, and during the Bronze Age even became a top export from north-central Europe, finding consumers across the entire Mediterranean. Gold, silver, precious and semi-precious stones remained the principal materials from which jewellery was made until the advent of costume and designer jewellery.

Jewellery marks the person who wears it. It increases one’s attraction – especially, but not solely, one’s eroticism – and it signals individuality. It embodies to a high degree the longing for love and being loved, for recognition, for security and prestige. Connected with and overlying this is another function: For thousands of years jewellery also signaled messages about its bearer’s social rank and status. Its purely decorative function only stepped into the foreground roughly 200 years ago; one can more or less designate the French Revolution of 1789 as the watershed. Only since then do primarily fashion, personal taste and financial means decide who wears what kind of jewellery. That today a given person’s rank and status can be read only conditionally from his or her rings or necklaces does not mean, however, that nowadays jewellery is nothing but adornment. It still can be a sign of recognition for the like-minded and for initiates or for members of subcultures.

There is a widespread and well-attested belief, by no means belonging to the past, that jewellery attracts the gaze of any enemy, be he spirit or man, deflecting it from the wearer (2). In Arab countries blue beads avert evil from children, brides, pets and even automobiles. A whole row of magical and superstitious ideas is connected with rings. Their origin has been attributed to the ring form, “the circular line mysteriously returning into itself” which suggested the transfer to the ring of the notions about the magic circle. And already in antiquity the ring was interpreted as a basic symbol of binding (3). There is yet another addition to the enduring charm of jewellery: the element of perfection that hints at durability, even eternity. True jewellery has always embodied perfection through its precious materials and high standards of craftsmanship, as well as through its harmonious forms. That precious pieces of jewellery have always been passed from one generation to the next as heirlooms is perhaps also a telling expression of the longing for permanence.

Remaining to this day is the objects’ aura, in which the symbolic unconsciously resonates. Inundated by a daily flood of images and signs, we are often no longer able to notice it. Yet Elisabeth Mehrl’s paintings seduce us into precise observation, a requirement of becoming aware. They achieve this in their rejection of all illustrative or anecdotal moments and without nudged hints at hidden meanings. They emphasize the physicality of objects, so that the strings of beads, bracelets and rings gain an almost uncanny presence. Paradoxically, she achieves this feat not primarily through any hyper-naturalism but through strategies of alienation. Objects present themselves larger than life or in enlarged details, as if through a camera lens, in front of or enclosed in coloured spaces that give them an unreal appearance. Thus they gain an almost abstract quality that sometimes makes you uncertain about what you are actually looking at. Is it, for example, a bundle of entangled rings or the representation of a plant akin to the photographs Karl Blossfeldt composed in the first half of the 20th century, making organic tissue look like metal sculptures? Depending on whether you see them from up close or at a distance, beads may appear to be sculpted objects or almost fleshly, and that may be the basis of the belief in their apotropaic effect. In another painting, steeped in green, you may think you see living snakes – or is it just an uncoiling metallic wire of which rings or bracelets are still to be made? It may be remarked in passing that snakes are a frequent motif in jewellery, charged with religious and magical concepts.

Or the objects are small, alternating in pictures constructed like chess-boards with structures that meander and confuse the gaze that tries to discover their rules. The status of the juxtaposed objects is often dubious: are they pendants; have they a meaning that does wish to not reveal itself to the viewer; or are they just some sort of toy? Their existence, at any rate, is beyond doubt. Elisabeth Mehrl proves herself to be an artist in whose brushstroke you believe. The pictorial worlds that she creates stand in no mimetic relation to so-called exterior reality, no matter how in love with detail and illusionistically touchable the rings and chains may be represented. The reality she is after is the reality within us, the world of our hopes and imagination. Things hover ambiguously in her paintings – enticing and beautiful, close enough to touch and yet elusive. Clinging to them is an element of timelessness: It might prove hard to assign Elisabeth Mehrl’s rings, with their bezels and profiles full of character, to any particular artistic period. This takes none of their vividness from her paintings, but strengthens us in the conviction that they are neither an affirmative nor an ironic evocation of the world of consumption in which we live. Ralph Waldo Emerson’s dictum of “things are in the saddle and ride mankind” illuminates only one side of Elisabeth Mehrl’s jewellery cosmos. The other is described by the title of a play by Calderón: “Life is a dream”.

Andreas Kühne and Christoph Sorger
Translation: Lisa Kirch

Notes:

(1) Juan Luis Arsuaga, Der Schmuck des Neandertalers (Hamburg, Vienna: Europa Verlag 2003), 317.

(2) “Schmuck,” in Hanns Bächtold-Stäubli, ed., Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (Berlin: Walther de Gruyter, 1987), vol. 7, 1255-64.

(3) “Ring,” in ibid., 702-724.

Künstliche Räume. Die Rückkehr des Ästhetischen

Hannah Stegmayer

Im Rückblick auf die letzte Dekade der künstlerischen Entwicklung Elisabeth Mehrls fallen zwei wesentliche Aspekte auf: die zunehmend installativen Arbeiten sowie die Rückkehr einer beinahe technischen Ästhetik, die kaum noch an die elementaren Gefäßbilder der jungen Künstlerin erinnern. Beide Tatsachen drücken sich formal und konzeptuell aus, d.h. sie sind sowohl Ergebnis als auch Grundlage der Arbeiten und haben große Zyklen entstehen lassen, welche diese Themen immer wieder bearbeiten und neu beleuchten. Sie spielen mit der Erwartung des Betrachters, befriedigen und enttäuschen sie, wecken große Sehnsüchte und weisen deren Befriedigung dennoch zurück.

Im Jahr 1999 entstand die Installation rosegarden, eine Arbeit, welche einen heimlichen Blick in den Garten der Sehnsüchte zulässt. Die Künstlerin versieht einen eingefriedeten, unzugänglichen Galerie-Garten mit einem Sehschlitz. Der Blick öffnet sich auf ein verwildertes Rasenstück mit systematisch angeordneten Kunstrosen. Der Garten wird dadurch umgedeutet in einen Garten Eden, einen Ort des Schönen, des Friedens und der Verlockung, denn der begrenzte Blick ergänzt das Sichtbare zu einem paradiesischen Phantasma, dessen Zugang versperrt bleibt. Hier verwischt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit, und das künstlich inszenierte Panorama bleibt ein Trugbild. Abgesehen vom ikonographischen Hinweis auf das Mariengärtlein oder den Rosenhag setzt hier die Verwendung der Rose als Ikonografie des Schönen und Idealen ein, die in Verbindung mit Voyeurismus in einen Kunstraum lockt, der Wunschträume, Begehren, ungestellte Sehnsucht und Traum symbolisiert. Diese Verbindung ist jedoch erst dann komplett, wenn man an ihr die Idee von Täuschung, Schein und Illusion wahrnimmt. Elisabeth Mehrl zeigt dies, indem sie mit Bühnenelementen arbeitet, die quasi als Kulissen dienen und das große Theater der Blendung inszenieren. Dabei gelingt es ihr, den Betrachter zu manipulieren, der dorthin denkt, wohin seine Aufmerksamkeit gelenkt wird. Diese Idee der Autorität des Künstlers taucht bereits bei Marcel Duchamp auf, der mit ähnlichen Mitteln – dem Blick durch eine Türöffnung – operiert, um den Betrachter zu lenken.

Wenn Elisabeth Mehrl im Kunstverein Rosenheim für ihre Installation Ideale den Boden komplett mit rotem Teppichboden belegt und große Wandabschnitte rot einfärbt, verwandelt sie den Ausstellungsraum in einen Kunstraum, der sich als außergewöhnlicher Ort vom alltäglichen Raum abhebt. Der Betrachter betritt eine andere Welt, er befindet sich mit dem Betreten des Teppichs direkt im Kunstwerk und wird zu einem Teil desselben. Die Erfahrung ist eine andere als beim Betrachten eines Kunstwerks aus der Distanz. Auch die Exponate, unterschiedlich große und in unterschiedlicher Höhe angebrachte Tafelbilder mit Schmuckstücken, verändern hier ihre Qualität. Als isoliert auf den Flächen schwebende Details wirken sie verfremdet, rücken in eine Distanz, die keine Greifbarkeit ermöglicht. Sie entrücken gewissermaßen und werden in ihrer Fremdheit als Surrogate unserer Wünsche sichtbar. Sie sind also nur Ersatzstücke, entziehen sich einer weiteren Interpretation und Spekulation und demonstrieren in einer ungeheuren Perfektion des Stofflichen und Räumlichen ihren Blendwerkcharakter. Dies drückt sich formal durch die Schichtung des Farbauftrags aus, welcher die dargestellten Gegenstände gleichzeitig illusionistisch als plastische Gebilde modelliert und dazu eine tatsächliche Räumlichkeit erzeugt. Der Betrachter nimmt nicht nur einen Bildraum wahr, der mit malerischen Mitteln erzeugt wurde, sondern die Tafelbilder haben eine wirkliche Tiefe. Elisabeth Mehrl erreicht dies durch wiederholtes hauchdünnes Übermalen und wieder Nachmodellieren der dargestellten Gegenstände, und der Blick taucht dadurch geradezu in den Bildraum ein. Diese Schichtung ist also ein raffiniertes Täuschungsmanöver mit Bildraum und tatsächlichem Raum oder Räumlichkeit.
Was sich hier abspielt, ist das Wechselspiel aus Augentäuschung und inhaltlichem Verweischarakter der Bilder, die zunächst als reiner Schmuck oder als Dekorum wahrgenommen werden, dann vielleicht einen Hinweis auf weibliche Wunschträume geben und bei zunehmender Beschäftigung mit der Bilderzeugung, mit den malerischen Mitteln also, sich als Illusion entpuppen. Man findet in der Darstellung unnützer, überflüssiger Gegenstände, wie er durch den Begriff des Dekorum sich kaum deutlicher bezeichnen lässt, einen Überschuss über das Alltägliche, der aber zugleich zu einer zunehmenden Desillusionierung führt.

Es fallen einem Bespiele aus der Verhaltenspsychologie ein, die ähnliche Phänomene im Paarungsverhalten von Lebewesen konstatiert. Hier signalisiert der Überfluss genetisch positiver Merkmale des Partners einen Fortbestand der Nachkommen. In der menschlichen Spezies drückt sich dies in Statussymbolen aus, die dazu angetan sind, genetische Defizite zu kompensieren und einen Überschuss zu simulieren.

Wenn Elisabeth Mehrl das Schöne darstellt, greift sie auf die beiden Symbole Ring und Rose zurück. Beide scheinen zunächst sehr leicht fassbar, sie sind mit den Attributen Reinheit, Liebe, Treue belegt und in unserem Kulturkreis nicht fremd. Wäre ein Symbol jedoch ganz klar, dann wäre es keines mehr. Es muss also etwas mit zum Schwingen bringen, das sich nicht eindeutig fassen lässt. Die Wandarbeit Jede Geduld hat ein Ende besteht aus Rosenköpfen, die in Kreisform zu einem Schriftzug gesteckt wurden. Die Verbindung von Text und Bild mit dem Rosenmotiv erzeugt einen Mehrwert an Bedeutung, der im Rahmen einer weiblichen Ästhetik an Stickarbeiten erinnert oder an das Omen ausgezupfter Blumenblätter (Er liebt mich, erliebt mich nicht…) oder aber an Hinhaltetaktiken raffinierter Liebhaber.
Hier ist jede Deutung erlaubt, jede ist von der Künstlerin gemeint und ist doch nur begrenzt offen, denn auch in diesem Fall macht Elisabeth Mehrl eine Aussage, die jenseits der romantischen Verklärung sehr nüchtern und sachlich auf die banale, bereits desillusionierte Realität verweist.

Die konzeptuellen Arbeiten aus seriell angeordneten Namen bedeutender Rosenzüchtungen hingegen fassen die Rose als biologisches, wissenschaftliches Objekt, das derart kategorisiert und katalogisiert zunächst ihrer Poesie enthoben scheint, diese jedoch durch die Benennung wieder zurück erhält. “Jeanne d’Arc” oder “Casanova” oder gar “Princess of Wales” als Widmungsnamen geben dem Untersuchungsgegenstand eine Aura zurück, die weit über den Gegenstand hinausreicht. Unter diese Namen mischen sich nun Eigenschaften, die man mit der Rose üblicherweise nicht verbinden würde wie “Pretty Bad” oder “Just Ugly”. Diese Diskrepanz relativiert die uneingeschränkte Poesie des Gegenstandes und setzt ihn auf eine sachliche Position zurück. Mit der Poetisierung erfolgt also gleichzeitig eine Ironisierung, ein Stück romantische Ironie also, das keinen Zweifel offen lässt.

Innerhalb der einzelnen Serien findet Elisabeth Mehrl also zahlreiche Variationen der Kernthemen, die kaum zu erschöpfen sind.
Angeschnittene Schmuckstücke, die damit aus dem Bild zu verschwinden scheinen, führen den Betrachter über den Bildraum hinaus in einen gedachten Raum, der über das Bild und seine Abbildlichkeit hinausführt. Als Ausschnitte haben die Tafelbilder hier den Charakter von Fenstern.
Mehrteilige Bilder setzen rapportartige Endlosmuster neben illusionistische Abbildungen und haben die Funktion von Suchbildern, denn beinahe gleichartige Gebilde wollen vom Betrachter auf Gleichartigkeit überprüft werden. Dabei wird das Wechselspiel zwischen mimetischer Plastizität und ornamentaler Flächigkeit noch einmal neu entwickelt. Die Wandarbeit Im Reich der Dinge I kombiniert Malerei und Siebdruck und spielt inhaltlich mit Suche und Begehren, indem das Labyrinth sich als ständiger Störfaktor beim Zugriff auf die dargestellten Dinge in Erinnerung bringt. Wenn die Ornamentstruktur, die man als kunstvolle Erfindung kennt, sich jedoch als mikroskopische Zellstruktur entpuppt, wie in der 14-teiligen Arbeit Von den Sehnsüchten, muss man das Verhältnis zwischen Realität und künstlerischer Erfindung noch einmal neu überdenken. Mehrteilige Arbeiten sind bei Elisabeth Mehrl also häufig als Reflex unterschiedlicher Realitätsebenen zu sehen.

Das Schöne als künstlerische Kategorie ist weitgehend aus der Kunst verschwunden und der Darstellung des Wahren gewichen. Politische Kunst, die Ausweitung der künstlerischen Mittel, der Ausdruck des Authentischen, des Kreatürlichen oder Existenziellen sind an ihre Stelle getreten. Was geschieht also, wenn, wie im Falle der Arbeiten Elisabeth Mehrls, diese Kategorie wieder auftaucht? Unreflektiert wäre sie nicht mehr als bloßer Kitsch. Als künstlerisches Konzept jedoch thematisiert sie diese Tatsache.
Elisabeth Mehrl kann auf das barocke trompe l’oeuil zurückgreifen, das sehr explizit konzeptuell ausgerichtet ist. Nichts bleibt hier dem Zufall überlassen, der Betrachter wird im äußersten Maße manipuliert und geblendet. Wenn er dies mit Lust wahrnimmt, wird er sich seiner Schwachstellen deutlich bewusst und kann sie akzeptieren. Kunst übertreibt immer die Realität, überspitzt sie also und kann sie somit erst in scharfen Konturen zeigen. Der Rückgriff auf einen Ästhetizismus der Darstellung, das l’art pour l’art der Installationen und Wandarbeiten Elisabeth Mehrls ist kein Verweis auf das Eigentliche mehr, sondern lenkt davon ab. Im Grunde ist es eine Kunstform der Existenz, eine artifizielle Spielform, die einem Rollen- oder Maskenspiel gleicht.

Dass in der aktuellen Ausstellung gerade die plakativ illusionistischen Arbeiten den Effekt der Täuschung am intensivsten vermitteln, ist ein erstaunliches Phänomen. Gerade dort, wo das Malerische sich relativ markant zurückmeldet, wo Plastizität durch einfache Tricks erzeugt wird, die durchaus offensichtlich als Pinselstrich und Farbe in Erscheinung treten, wirkt die Blendung verblüffend direkt. Runde Perlen und schlangenartige Gebilde sind überwältigend präsent und öffnen eine neue Perspektive in der Malerei Elisabeth Mehrls. Schließlich muss diese Wende für den Betrachter und für die Künstlerin gleichermaßen überraschend sein. Sie ermöglicht einen Übergang in das große Format, garantiert starke Fernwirkung und führt von der Miniatur oder der minutiösen Detailliertheit zur großen Geste.

Kiefersfelden, September 2006

Artificial Spaces. The Return of the Aesthetic

Hannah Stegmayer

Looking at the development of the artist Elisabeth Mehrl during the last decade it is possible to observe two major aspects: the arrangement of the artist’s works tends towards installations and the artist employs an almost technical aesthetic which barely reminds one of the elementary depictions of receptacles which the young artist painted. These are two formally and conceptually expressed facts. They are both the result as well as the basis of her work and have given rise to major cyclic works which develop these. They play with the expectations of the spectators. They satisfy and disappoint them. They wake desires and frustrate their satisfaction.

In 1999 the installation rosegarden has been created, a work which opens a clandestine view into the garden of desire. The artist opens the look onto a fenced off and otherwise visually closed off gallery garden through a slit. Through this one can have a look onto a piece of wild lawn with systematically arranged artificial roses. The garden is thus reinterpreted as a paradise garden, a place of beauty, of peace, and of temptation. The restricted visual field turns the visible into a paradisiacal phantasm the access to which remains locked. In this case the borderline between reality and artificiality gets blurred and the artificially created and staged panorama remains a deceptive depiction. In addition to the iconographic hint to the St. Mary’s garden or the rose hedge the use of the rose stands iconographical for the aesthetic and the ideal. In connection with voyeurism the rose tempts the spectator into an artificial space which stands symbolically for wishful thinking, for desires, for frustrated yearning, and for the dream. This symbolic connection is only complete once one identifies the idea of deception and illusion which is part of the artist’s concept. Elisabeth Mehrl shows this by working with theatre elements which serve as a scenery and stages the theatre of deception. She thus succeeds to manipulate the viewer who thinks about the subjects to which his attention is directed. This idea of authority of the artist is already present in Marcel Duchamp’s works. He works with similar means – the glance through a slit in a door – to direct the viewer.

By completely carpeting the floor of the Kunstverein Rosenheim with a red carpet and by painting major parts of the wall red for her installation Ideale she transforms the exhibition space into an artificial space which is an exceptional scene and differs from ordinary space. The viewer enters a different world. By stepping onto the carpet he is inside the artwork and becomes part of it. The experience is different to the experience one gets from looking at an artwork from a distance. Also the exhibits, panels of different size and fixed to the wall in differing heights, ornamented with pieces of jewelry, change their quality in this environment. They are details that are isolated and float on the red surfaces of the wall and thus seem alienated and move into a distance which does not allow for any tangibility. They vanish to a certain extent and reappear as surrogates of our desires. Thus they are merely replacements, elude any further interpretation and speculation and demonstrate, with an incredible degree of perfection of the material and spatial their illusory character. On a formal level this is expressed through the multiple layers of the colouring which models the depicted objects both illusory as plastic objects and also creates a real spatiality. The viewer does not only perceive a depth in the picture which has been artificially created with technical means but the panels have a true three-dimensionality. Elisabeth Mehrl achieves this effect by repeatedly painting over and remodeling the objects which she depicts in her panels. The view thus immerses in the pictorial space. This multiplicity of layers is thus a refined way to deceive with pictorial space and real space or spatiality. What happens here is the interplay between visual deception and reference with regards to the content of the paintings which are first seen as pure ornament or decorative objects. Then they might be seen as hints towards female desires and after one increasingly focuses upon the way the paintings have been made, which means looking at pictorial means, the paintings reveal to be illusions. In the depiction of needless objects with no function, which can only be described as ornaments and decorum, one can find an excess over the commonplace. However this excess also increasingly leads to disillusionment.

One can think of examples from behavioural psychology, which states similar phenomena concerning the mating habits of living creatures. Here an excess of genetically positive traits signals a continuity of the progeny. For humans this is expressed in status symbols which are designed to compensate for genetic deficits and to simulate an excess of these.

When depicting the beautiful she uses the two symbols ring and rose. Both seem to be easily graspable at first. They carry the attributes of pureness, love, and faithfulness and are widely used in our culture. If, however, a symbol was to be unambiguous it would cease to be one. The wall painting Jede Geduld hat ein Ende consists of rose flowers which are arranged in a circle to form a text. The connection between text and picture with the motive of the rose creates a surplus of meaning. In the context of a feminine aesthetic this is reminiscent of embroideries or the omen of plucked rose leaves but it is also reminiscent of the delaying tactics of astute lovers. Here every interpretation is legitimate. Each is meant to be present by the artist. However each is only restrictedly available because even in this case Elisabeth Mehrl makes a statement which, beyond the romantic transfiguration, refers to the banal and already disillusioned reality in a sober and factual way.

The conceptual works which consist of serially arranged names of important rose breeds understand the rose as a biological and scientific object which at first seems to be overly categorized and cataloged and would thus be at loss of its poetic value. However it retrieves this poetical value thanks to the denomination. Being dedicated to and named after “Jeanne d’Arc” or “Casanova” or even the “Princess of Wales” restores the aura of the analyzed object which transcends this object. Amongst these names Elisabeth Mehrl puts attributes one wouldn’t usually link to roses like “Pretty Bad” or “Just Ugly”. This discrepancy relativises the absolute poetry of the object and sets it back to a factual position. Irony thus goes along with the poetry of the rose. It is a piece of romantic irony which doesn’t leave any room for doubts.

Within each series Elisabeth Mehrl finds numerous variations of the main subjects which are hardly exhaustible.
Truncated ornaments which seem to disappear from the painting lead the spectator beyond the pictorial space in an imaginary space which transcends the picture and its representative character. As sections the panels function like windows.
Multi-part paintings have repeating patterns next to illusory depictions. Almost identical structures want to be tested for uniformity by the viewer. Here the interplay between mimetic plasticity and ornamental flatness is redeveloped yet again. The work Im Reich der Dinge I combines painting and screenprint. As regards content it plays with searching and desire. The labyrinth remains a constant source of irritation when one tries to access the depicted objects. In the 14-partite work XXXX the ornament structure which one knows to be an artful invention emerges as a cell structure and forces the viewer to rethink the relation between reality and artistic invention. Multipartite works within Elisabeth Mehrl’s oeuvre are often to be seen as a reflex of different layers of reality.

The aesthetic as an artistic category has largely disappeared from art and has been replaced by the depiction of the real. Political art, the increase of artistic means, the expression of the authentic, the creatural or existential have replaced the aesthetic. So what happens if, as is the case for Elisabeth Mehrl’s works, this category reappears? Without further reflection it would not be more than mere kitsch. As an artistic concept however it picks this fact out as a central theme. Elisabeth Mehrl can revert to the baroque trompe l’oeuil which is explicitly conceptual. Nothing is left for chance. The viewer is utterly manipulated and deceived. If he experiences this with delight he is conscious of his weaknesses and able to accept them. Art always exaggerates reality and only because of this is able to display it in sharp contours. The return to an aestheticism of representation, the l’art pour l’art of Elisabeth Mehrl’s wall paintings, is no reference to the real but distracts from it. Essentially it is an art of existence, an artificial game which resembles a role or mask play.

The fact that Elisabeth Mehrl does not present her works as single and independent exhibits but stages whole rooms enables her to play this game with the pictorial possibilities which strikes the unprepared viewer and overwhelms him. In her exhibition in the Städtische Galerie Rosenheim all the rooms are adventure spaces which challenge the visitor. The reception of art turns into a happening. Already in the main room the view is directed onto large drop curtains. A scene is staged which works with backdrops, with tools of illusion and deception, a scene which evokes performative action. The artist does not deviate from this principle in any of the separate rooms. An interaction with the viewer is wanted. The viewer feels his way from one room to the other to find himself confronted with the full impact of painting. He deciphers structures, tests, the ideal distance towards the painting, experiences the effect of intensive colour, different formats, and different room situations. In the end the viewer has to find out how he is animated and manipulated by the carefully and artfully arranged totality of the rooms.

In the current exhibition the strikingly illusionist works communicate the effect of deception most acutely, which is an astonishing phenomenon. Especially where the pictorial is relatively distinctively present, where plasticity is created through simple tricks which are evidently strokes of the brush and colour, is where deception comes across in a strikingly direct way. Round pearls and snake-like shapes are stunningly present and open a new perspective in Elisabeth Mehrl’s painting. Ultimately this reversal has to be equally surprising for both the viewer and the artist. This reversal permits a transition into large formats, guarantees a strong distant effect, and leads from miniature or minutious detail to grand gesture.

Kiefersfelden, September 2006

Elisabeth Mehrl

Auf Papier

Textbeitrag: Dr. Andreas Kühne und Christoph Sorger
26 Seiten, 21 Abbildungen
Hrsg. KSPK München-Starnberg, 2006

Perlen und Arabesken oder Vom Eigenleben der Dinge

Papierarbeiten von Elisabeth Mehrl

Elisabeth Mehrl setzt sich seit einigen Jahren mit dem Schmuck als Bildthema auseinander. Neben großformatigen Leinwänden entstehen auch intimere, gleichsam auf Kammerton gestimmte Papierarbeiten. Dabei interessiert sie zunächst die Objekthaftigkeit formvollendeter Gegenstände. Ihre Freude daran teilt sich beim Betrachten ihrer Arbeiten souverän und zwanglos mit.
Perlen, deren Körperhaftigkeit nicht deutlicher sein könnte, dominieren die Bildräume. Von der Flächigkeit subtil gezeichneter, ornamentaler Hintergründe heben sie sich plastisch ab. Manche Arbeiten lassen sofort an Ketten oder Armbänder denken. Andere Bildfindungen sind mehrdeutiger. Filigrane Bleistiftlinien fügen die Perlen zu Gebilden zusammen, die Anstecker, Broschen, Armreife oder etwas anderes Geformtes sein könnten. Sie werfen die Frage auf, ob sich diese Bilder nun tatsächlich und mimetisch auf (Schmuck-)Gegenstände beziehen, wie es der erste Eindruck vermittelt, – oder ob es sich nicht vielmehr um abstrakte Gebilde handelt? Diese Ungewißheit wird noch dadurch verstärkt, daß die Bildgegenstände in allen diesen Arbeiten einer Umgebung, eines Kontextes beraubt sind: Es gibt niemanden, der sie trägt, es gibt keine Situation, in der sie eine Funktion besitzen würden. Aber gerade diese Vereinzelung verleiht ihnen eine unheimliche Lebendigkeit. Elisabeth Mehrls Bilder tendieren zu einer Autonomie, die ins Offene möglicher Bedeutungen führt. Ihre suggestive Qualität, der man sich schwer entziehen kann, evoziert ein breites Spektrum von Empfindungen und Interpretationen, das jeder vermeintlichen Eindeutigkeit überlegen ist. Damit rufen sie eine Bewegung hervor, die für die Objekte, von denen die Künstlerin ihre Anregungen bezieht und deren Eigenschaften sie nachspürt, von Anfang an charakteristisch gewesen ist.

Die Frage, warum sich Menschen schmücken, läßt viele Antworten zu. Schmuck erfüllt mehr als nur eine Funktion. Und das vermutlich schon immer. Reine, zweckfreie Freude am Schönen allein wird es nicht gewesen sein, die Menschen in der Steinzeit dazu antrieb, Ketten aus Samenkapseln oder Muscheln zu fertigen und zu tragen. Der Zeichen- und Symbolcharakter des Schmuckes ist von seiner Ästhetik nicht zu trennen. Schmuck sendet zahlreiche Signale aus, die eine Aura schaffen, deren erotischer Aspekt zwar besonders auffällig, aber nicht der einzige ist. Schmuck kann auch magisch aufgeladen sein. So schreibt man in arabischen Ländern noch heute Perlen eine Unheil abwehrende Wirkung zu.
Und ganz wesentlich sagt Schmuck etwas über die soziale Stellung des Trägers aus.
Es ist gerade zwei Jahrhunderte her, daß allein die Mode, der persönliche Geschmack und das Portmonnaie darüber entscheiden, wer welches Schmuckstück trägt.
Geblieben ist die Aura, in der Zeichenhaftes auch unbewußt mitschwingt. Wir sind – überschwemmt von der täglichen Flut der Bilder – nur oft nicht imstande sie wahrzunehmen.
Die Bilder von Elisabeth Mehrl können uns helfen, diese Wahrnehmung zu senibilisieren und zur stärken. Ihre Ästhetik und optische Präsenz sprechen dabei Gefühl und Phantasie an und beflügeln so unsere Reflexionsfähigkeit.

Andreas Kühne und Christoph Sorger

Elisabeth Mehrl

Im Reich der Dinge

Textbeitrag: Dr. Stefan Lindl
40 Seiten, 33 Abbildungen
Hrsg. Bezirk Oberbayern, 2005
ISBN 3-9810397-0-X

Der schöne Nutzen des nutzlosen Schönen

Stefan Lindl

Realismus: Verschwindet!
Auf den ersten Blick gibt es keine Vielschichtigkeit. Alles ist ganz einfach, die Farben, die Formen, die Texturen, die labyrinthartigen und die organisch-floralen Ornamente, die abstrakten Formen – alles bekannte Gestaltung, alles gewohnte Ästhetik, vielleicht sogar einer anderen Zeit. Ein Ring ist ein Ring, ein Ding auch ein Ding. Mehr nicht. Damit ist die Weidetätigkeit der Betrachter auf der kargen Oberfläche des Realismus der quadratischen Bilder schon zu Ende. Diese Oberfläche scheint sich allzu einfach und allzu schnell lesen und entschlüsseln zu lassen. Sie bezieht die grasenden Blicke des Betrachters nicht als Teil der Kunst ein. Vom Betrachter wird scheinbar nicht verlangt, wahrnehmend und assoziierend etwas den tableaux hinzuzufügen. Vorstellungen, individuelle Assoziationen braucht es hier auf den ersten Blick nicht. Offenbar sind sie nicht erwünscht. Der Betrachter steht außen vor. Seine Blicke dürfen nicht eindringen in die tableaux, die mächtig, klar und fest vor Augen hängen. Vor lauter ästhetischer Eindeutigkeit, vor lauter figürlicher Klarheit und Dominanz scheint sich der Betrachter nur noch zurückziehen zu können, scheint er nur kleinlaut sagen zu dürfen: Schön! Oder: Das ist aber Schön! Was für schöne Dinge!
Den tableaux können seine Assoziationen nichts hinzufügen, sie gehören ganz den Aussagen der Künstlerin, die das Schöne malte. Trennend wirkt die Oberfläche des realistisch Dargestellten, abgrenzend, ausgrenzend. Sie reduziert die Vielfalt der Gestaltungsprozesse in der Kunst.
Ein gegensätzlicher Zug unserer Zeit scheint hier manifest zu werden, in der doch die Vielfalt des Assoziierens an Hand des Nicht-Realistischen oder zumindest des Vagen, Undeutlichen ein heiliges Gut ist. Gewöhnlich fordern Autoren und Künstler die Vielfalt und die Einzigartigkeit der Assoziationen der Leser oder der Betrachter ein. Ob in Literatur oder Kunst durch die Konstruktion von unklaren, verschleierten Oberflächen werden die Betrachter in den Gestaltungsprozess einbezogen. Missverstehen, Hinzuerzählen, Sinn geben, das sind mitunter tragende Züge der Kunst des 20. Jahrhunderts. Doch Mehrl reduziert diese Vielfalt des Sinns und des Sinngebens, Subjektivierens und Individualisierens des Gestalteten durch den Betrachter mit der realistischen Oberfläche; offensichtlich tut sie das ganz bewusst. Insofern verstört die Oberfläche dieser Malerei, weil sie gegen das Gewöhnliche in der Malerei verstößt. Deswegen ist Mehrls Kunst reflektierende Kunst, weil sie eine andere Perspektive auf die Malerei legt. Sie hinterfragt Malerei, spielt mit deren Möglichkeiten des Ausdrucks: Einerseits ganz offensichtlich mit dem Realistischen, jener exakten Gegenständlichkeit, die den Betrachter ausschließt, seine gestalterische Tätigkeit weitgehend eindämmen möchte. Die Künstlerin ermöglicht den unverstellten, nackten Blick, den die Betrachter lange Zeit entbehren mussten. Andererseits – erst auf den zweiten Blick erkennbar – spielt sie mit dem Vernebelnden, Umhüllenden, Unscharfen, das den Betrachter als Gestalter und vor allem Sinngestalter in die Kunst mit einbezieht.
Ihre Kunst hinterlässt zuerst ein ungutes Gefühl bei jenem Betrachter, der gewohnt ist, vom Künstler aufgefordert zu werden, am sinngebenden Gestaltungsprozess teil zu haben. So wird er sich fragen, ob er wohl einem reaktionären Werk gegenüber stehe? Oder mag das eine Kunst sein, die das epochale Denken in der Kunst bereits überwunden hat und ein anderes Verständnis von Darstellen und Gestalten einläutet? Vielleicht inszeniert und erschafft die Künstlerin eine andere Moderne oder eine Moderne der Eindeutigkeit nach der vielfältigen Postmoderne? Oder ist der Realismus, die realistische Darstellung der Dinge, nur das gestalterische Mittel für eine Philosophie über die Viel- und Einfalt, die beide sehr wohl etwas mit dem spannungsgeladenen Denken von Moderne und Postmoderne zu tun haben?

Barock: Wertet!
Alle Unbestimmbarkeiten dieses Denkens hat Elisabeth Mehrl schön verpackt in die barocke Monstrosität der Formen. Gewaltige voluten- und edelsteinverzierte Schmuckstücke, Miniaturarchitekturen überbordenden Lebensstils zeigt sie, präsentiert Reichtum, Ornament, schmucke Kathedralen der Finger. Oft durchaus tragbar, wunderschön, pure Lust am Ornament. Ornamente schmücken das Nackte, geben ihm etwas hinzu, differenzieren es zu anderem Nackten. Der nackte Finger ist mit einem solchen Ring nicht einfach nackter Finger, sondern ein pars pro totum, das für Reichtum, Wertschätzung, schmuckes Geschenk der Liebe steht. Möglicherweise ist der Ring ein altes Familienerbstück, das auf die lange Genealogie verweist, auf den Reichtum und das Ansehen der Familie, die nicht aus der Masse, der kleinen Bauern und anderen Untertanen stammte. Einen solchen Schmuck am Finger macht es beinahe unmöglich, mit den Händen zu arbeiten. Er ist schön, aber funktional unnütz, auch wenn er auf einer gesellschaftlichen Ebene differenziert und abgrenzt, also durchweg brauchbar für bestimmte Absichten ist. Doch für das nackte Leben ist der Schmuck einfach nur schmuck. Den Schmuck, das Ornament eines Gebäudes, eines Körpers braucht man nicht, damit das Gebäude oder der Körper funktioniert. Über eine Notwendigkeit verfügt er keineswegs. Puristische Funktionalisten könnten nun leichthin argumentieren: Alles was keine Notwendigkeit für die Funktionalität besitzt, ist Verschwendung an Energie und Ressourcen. Und jede Verschwendung ist unmoralisch! Also sollte das Ornament verboten werden, um ein hinreichend moralisches Leben führen zu können.
Bedauerlicherweise ist die Unterscheidung vom Nützlichen und Unnützlichen sehr schwer zu treffen. Denn was ist alles Ornament? Ist der Schmuck nutzloses Ornament? Ist Kunst Schmuck? Ist Philosophie, sind die Geisteswissenschaften Ornamente des nackten Lebens? Ist der Porsche vor der Haustür Schmuck oder hat er für bestimmte Menschen eine Berechtigung und gleichzeitig eine Notwendigkeit? Ist Kitsch Schmuck? Dürfen Gartenzwerge Vorgärten bevölkern, sind sie unnütz oder doch für einige Menschen notwendig? Schon die Gartenzwerge strudeln im Malstrom des Nihilismus, der sich überbieten lässt: Ist Ackerbau Schmuck? Reichte es nicht, wenn wir Jäger und Sammler wären? Sind unsere Gedanken Schmuck? Genügte es nicht, wenn wir in aller Dumpfheit lebten? Ist unser Leben nicht ein Ornament dieses Planeten? Genügte er sich nicht selbst? Also: Was ist Schmuck, was ist Ornament? Was ist nützlich, was ist nutzlos? Es gibt glücklicherweise keine letzte Antwort auf die Frage, was Schmuck ist. Denn wie der einzelne definiert, welcher Schmuck für ihn nützlich, welcher für ihn unnütz ist, bleibt jedem Menschen selbst überlassen. Schmuck ist jedenfalls immer menschliche Ordnung, Anordnung, Gestaltung. Er hat nicht nur etwas mit dem Schönen, dem Guten und gleichzeitig dem meist Nicht-Funktionalen zu tun. Aber der Schmuck strebt zum Schönen, auch wenn dieses Schöne relativ ist. So kann auch die Destruktion für den Destruktiven schöner Schmuck seines Lebens sein. Damit ist der Schmuck eine Notwendigkeit, die dem menschlichen Wunsch nach Unnützlichem eine Wirklichkeit verleiht.
Das Funktionslos-Schöne ist ein wichtiger, tröstender Ausweg aus den Arbeits-, Finanz-, Wirtschafts- und Lebenswelten, die unter dem Primat und der Hegemonie der Funktion stehen. Schmuck ist das Andere der Funktion. Gerade aus dieser Andersartigkeit begründet sich seine Notwendigkeit und sein Nutzen. Das geschmückte Leben ist somit der Gegenpol des funktionalen. In ihrer Ausgewogenheit könnten beide verantwortlich sein für ein glückliches Leben, dabei bleibt es Definitionssache des Einzelnen, welcher Schmuck das nackte Leben ornamentiert. Schmuck übersteigt mit seiner nutzlosen Funktion weit das Zeichenhafte, für das er auch stehen kann: für Wohlstand oder gar Reichtum. Losgelöst von diesen sozio-ökonomischen, hierarchischen Schichtungen, dessen Ausdruck und Differenzierungsmittel er sein mag, weitet er sich aus zu einem Prinzip des erfüllten Lebens.

Surrealismus: Durchdringt!
Elisabeth Mehrl stellt sich mit ihren tableaux diesen Fragen nach dem Nutzen und der Nutzlosigkeit des Schmucks und gibt sie an den Betrachter weiter. Die Künstlerin, die auf den ersten Blick den Betrachter ausschließt, führt seinen Blick von der glänzenden, schmucken Oberfläche des Realismus, der so schön, klar und fest uns vor Augen gebracht wird, der so unumstößlich und undurchdringlich zu sein scheint, in ein Reich des Relativen, der Labyrinthe der sich ausgrenzenden und einschließenden Denksysteme über das Schöne und den Schmuck. Die Vielfalt des Hinzufügens und Assoziierens durch den Betrachter sitzt in Mehrls Werken tiefer, besser gesagt daneben, neben der gegenständlichen Malerei. Denn die tableaux-Montagen der schönen Dinge werden umgeben von labyrinthischen und organisch-floralen Zellornamenten auf schwarzen und orangen tableaux. Dort zeigt sich das Irreale des scheinbar Realen und Greifbaren. Doppelungen, Verirrungen und Wirrungen, Überzahl, Differenzen und Grenzen hinterfragen als abstrakte Allegorien, die scheinbare Festigkeit und die visuelle Dominanz des Realen, das sich als eine Wüste herausstellt, ein Ort, an dem es nur Sand, aber keine Vielfalt gibt. Dort finden sich Platzhalter für die Assoziationen der Betrachter. Dort öffnen sich die Portale zu der anderen Ebene der Malerei Elisabeth Mehrls, die dem Betrachter und seiner gestalterischen, sinngebenden Kraft Entfaltungsmöglichkeiten zusprechen. Der Betrachter des Reichs der Dinge findet für seine Assoziationen hier seinen Ort, an dem er sich nach Belieben betätigen kann und soll: Seine Gedanken über den Nutzen und die Nutzlosigkeit des Schönen, Gestalten die tableaux Mehrls mit.
Noch deutlicher vernehmbar werden die Fragen nach dem Nutzen durch die surrealen Steigerungen und Übersteigerungen der bayerischen barocken Überpracht, der Pfaffenwinkel-Hypertrophien der tragbaren Ringe: Doppelringe, die über zwei Finger gezogen werden und die Funktionalität einer menschlichen Hand durchaus einschränkten, stellen die Funktionslosigkeit und den Unnutzen des Schmucks heraus. Deutlich wird dieser Aspekt des Schmucks auch mit dem immer wieder auftauchenden, seltsam unproportionierten Ring, der an ein Farbergé-Ei erinnert, groß wie ein Heißluftballon, der keine Gondel, sondern ein feines, dünnes Ringchen mit sich führt. In seiner nutzlosen, protzigen Pracht zeigt sich dieser Ring, dessen Funktionslosigkeit sich zu einer Qual steigert. Allein das Hinsehen bereitet Schmerzen, denn der dünne Ring würde unter der Hebelwirkung des Eis tiefe Einschnitte und Scheuerwunden am Finger hinterlassen. Schmuck und Leid gehören nicht ganz selten zusammen. Aber damit nicht genug des Surrealen, des Unnützen, das ein geschmücktes Leben ziert:
Tanzende, fliegende, wirbelnde Püppchen, deren Beine jedoch auf Klötzen befestigt sind und alle Bewegung verhöhnen, präsentiert die Künstlerin. Es ist erstaunliches und allenfalls ergötzliches Magnetspielzeug, das die Firma Manufactum anbietet, die mit dem Spruch wirbt: “Es gibt sie noch, die guten Dinge.” Auch ein Stuhl, auf dem niemand sitzen kann, gesellt sich in dieses Reich der unmöglichen Dinge. Seine Sitzfläche hat vier Beine, auf denen sie steht und vier weitere, die sich in die Luft strecken. Auch andere Artefakte finden sich auf den tableaux, deren Funktionalität allenfalls hilfloser Wunsch ist, deren Nutzen nicht nahe liegt oder die eine erhabene, fremdartige, gleichsam extraterrestrische Ausstrahlung besitzen. Scheinbar sind diese tableaux Membrane zu mindestens einer Parallelwelt, die bestimmte Dinge der anderen Welt sichtbar werden lassen, in der vielleicht die Funktionalität dieser Dinge beheimatet ist und als Relikt übrig blieb, während die Dinge in unsere Welt mit ihrer baren Nutzlosigkeit überwechselten und auf gemalten Bildern sichtbar wurden.

Relativismus: Erkennt!
Die auf den ersten, flüchtigen Blick so einfache Malerei Elisabeth Mehrls versteckt hinter ihrer schönen, realistischen Oberfläche essentielle Fragen:
Wie nötig haben wir das Unnötige?
Was ist das Unnötige, wenn es doch nötig ist?
Wie notwendig ist der Schmuck?
Wieso hat der Schmuck den Wert, den er hat?
Wie nötig haben wir das Konkrete und das Abstrakte?
Wie schön ist das nackte Leben?
Wie notwendig ist das Schöne?

In diesen Fragen findet sich jenes Unrealistische, Unklare der Oberfläche wieder, die den Betrachter gewöhnlich in den Gestaltungsprozess der Kunst des 20. Jahrhunderts mit einbezieht. Er muss sich lediglich auf eine andere, als die gewohnte Ebene begeben. Wird sein Blick von der gewöhnlich unklaren Oberfläche absorbiert, so muss er sie in Mehrls Malerei zuerst durchdringen, um dann hinter der realistischen Oberfläche die Fragen nach dem Notwendigen, nach Verschwendung und Moral für sich beantworten zu können. Die Einladung mitzugestalten, ist kryptischer, vielschichtiger als gewöhnlich. Um so reizvoller ist die Reise durch das Reich der Dinge in das Reich der Sprache, in das Reich einer Philosophie des Lebens.
Oder anders, mit Worten Nitzsches gesagt:
aller Schmuck versteckt das Geschmückte*
Was jedoch das Geschmückte wohl sei, bleibt zu bestimmen dem Betrachter überlassen.

Elisabeth Mehrl

Ideale

Textbeiträge: Dr. Hannah Stegmayer, Dr. Hanne Weskott
32 Seiten, 26 Abbildungen
Hrsg. Kunstverein Rosenheim, 1999

Der schöne Schein der Dinge

Die Naturgesetzlichkeit des Kunstschönen im Werk Elisabeth Mehrls

Hannah Stegmayer

Im Rückblick auf die letzte Dekade der künstlerischen Entwicklung Elisabeth Mehrls fallen zwei wesentliche Aspekte auf: die zunehmend installativen Arbeiten sowie die Rückkehr einer beinahe technischen Ästhetik, die kaum noch an die elementaren Gefäßbilder der jungen Künstlerin erinnern. Beide Tatsachen drücken sich formal und konzeptuell aus, d.h. sie sind sowohl Ergebnis als auch Grundlage der Arbeiten und haben große Zyklen entstehen lassen, welche diese Themen immer wieder bearbeiten und neu beleuchten. Sie spielen mit der Erwartung des Betrachters, befriedigen und enttäuschen sie, wecken große Sehnsüchte und weisen deren Befriedigung dennoch zurück.

Im Jahr 1999 entstand die Installation rosegarden, eine Arbeit, welche einen heimlichen Blick in den Garten der Sehnsüchte zulässt. Die Künstlerin versieht einen eingefriedeten, unzugänglichen Galerie-Garten mit einem Sehschlitz. Der Blick öffnet sich auf ein verwildertes Rasenstück mit systematisch angeordneten Kunstrosen. Der Garten wird dadurch umgedeutet in einen Garten Eden, einen Ort des Schönen, des Friedens und der Verlockung, denn der begrenzte Blick ergänzt das Sichtbare zu einem paradiesischen Phantasma, dessen Zugang versperrt bleibt. Hier verwischt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit, und das künstlich inszenierte Panorama bleibt ein Trugbild. Abgesehen vom ikonographischen Hinweis auf das Mariengärtlein oder den Rosenhag setzt hier die Verwendung der Rose als Ikonografie des Schönen und Idealen ein, die in Verbindung mit Voyeurismus in einen Kunstraum lockt, der Wunschträume, Begehren, ungestellte Sehnsucht und Traum symbolisiert. Diese Verbindung ist jedoch erst dann komplett, wenn man an ihr die Idee von Täuschung, Schein und Illusion wahrnimmt. Elisabeth Mehrl zeigt dies, indem sie mit Bühnenelementen arbeitet, die quasi als Kulissen dienen und das große Theater der Blendung inszenieren. Dabei gelingt es ihr, den Betrachter zu manipulieren, der dorthin denkt, wohin seine Aufmerksamkeit gelenkt wird. Diese Idee der Autorität des Künstlers taucht bereits bei Marcel Duchamp auf, der mit ähnlichen Mitteln – dem Blick durch eine Türöffnung – operiert, um den Betrachter zu lenken.

Wenn Elisabeth Mehrl im Kunstverein Rosenheim für ihre Installation Ideale den Boden komplett mit rotem Teppichboden belegt und große Wandabschnitte rot einfärbt, verwandelt sie den Ausstellungsraum in einen Kunstraum, der sich als außergewöhnlicher Ort vom alltäglichen Raum abhebt. Der Betrachter betritt eine andere Welt, er befindet sich mit dem Betreten des Teppichs direkt im Kunstwerk und wird zu einem Teil desselben. Die Erfahrung ist eine andere als beim Betrachten eines Kunstwerks aus der Distanz. Auch die Exponate, unterschiedlich große und in unterschiedlicher Höhe angebrachte Tafelbilder mit Schmuckstücken, verändern hier ihre Qualität. Als isoliert auf den Flächen schwebende Details wirken sie verfremdet, rücken in eine Distanz, die keine Greifbarkeit ermöglicht. Sie entrücken gewissermaßen und werden in ihrer Fremdheit als Surrogate unserer Wünsche sichtbar. Sie sind also nur Ersatzstücke, entziehen sich einer weiteren Interpretation und Spekulation und demonstrieren in einer ungeheuren Perfektion des Stofflichen und Räumlichen ihren Blendwerkcharakter. Dies drückt sich formal durch die Schichtung des Farbauftrags aus, welcher die dargestellten Gegenstände gleichzeitig illusionistisch als plastische Gebilde modelliert und dazu eine tatsächliche Räumlichkeit erzeugt. Der Betrachter nimmt nicht nur einen Bildraum wahr, der mit malerischen Mitteln erzeugt wurde, sondern die Tafelbilder haben eine wirkliche Tiefe. Elisabeth Mehrl erreicht dies durch wiederholtes hauchdünnes Übermalen und wieder Nachmodellieren der dargestellten Gegenstände, und der Blick taucht dadurch geradezu in den Bildraum ein. Diese Schichtung ist also ein raffiniertes Täuschungsmanöver mit Bildraum und tatsächlichem Raum oder Räumlichkeit.
Was sich hier abspielt, ist das Wechselspiel aus Augentäuschung und inhaltlichem Verweischarakter der Bilder, die zunächst als reiner Schmuck oder als Dekorum wahrgenommen werden, dann vielleicht einen Hinweis auf weibliche Wunschträume geben und bei zunehmender Beschäftigung mit der Bilderzeugung, mit den malerischen Mitteln also, sich als Illusion entpuppen. Man findet in der Darstellung unnützer, überflüssiger Gegenstände, wie er durch den Begriff des Dekorum sich kaum deutlicher bezeichnen lässt, einen Überschuss über das Alltägliche, der aber zugleich zu einer zunehmenden Desillusionierung führt.

Es fallen einem Bespiele aus der Verhaltenspsychologie ein, die ähnliche Phänomene im Paarungsverhalten von Lebewesen konstatiert. Hier signalisiert der Überfluss genetisch positiver Merkmale des Partners einen Fortbestand der Nachkommen. In der menschlichen Spezies drückt sich dies in Statussymbolen aus, die dazu angetan sind, genetische Defizite zu kompensieren und einen Überschuss zu simulieren.

Wenn Elisabeth Mehrl das Schöne darstellt, greift sie auf die beiden Symbole Ring und Rose zurück. Beide scheinen zunächst sehr leicht fassbar, sie sind mit den Attributen Reinheit, Liebe, Treue belegt und in unserem Kulturkreis nicht fremd. Wäre ein Symbol jedoch ganz klar, dann wäre es keines mehr. Es muss also etwas mit zum Schwingen bringen, das sich nicht eindeutig fassen lässt. Die Wandarbeit Jede Geduld hat ein Ende besteht aus Rosenköpfen, die in Kreisform zu einem Schriftzug gesteckt wurden. Die Verbindung von Text und Bild mit dem Rosenmotiv erzeugt einen Mehrwert an Bedeutung, der im Rahmen einer weiblichen Ästhetik an Stickarbeiten erinnert oder an das Omen ausgezupfter Blumenblätter (Er liebt mich, erliebt mich nicht…) oder aber an Hinhaltetaktiken raffinierter Liebhaber.
Hier ist jede Deutung erlaubt, jede ist von der Künstlerin gemeint und ist doch nur begrenzt offen, denn auch in diesem Fall macht Elisabeth Mehrl eine Aussage, die jenseits der romantischen Verklärung sehr nüchtern und sachlich auf die banale, bereits desillusionierte Realität verweist.

Die konzeptuellen Arbeiten aus seriell angeordneten Namen bedeutender Rosenzüchtungen hingegen fassen die Rose als biologisches, wissenschaftliches Objekt, das derart kategorisiert und katalogisiert zunächst ihrer Poesie enthoben scheint, diese jedoch durch die Benennung wieder zurück erhält. “Jeanne d’Arc” oder “Casanova” oder gar “Princess of Wales” als Widmungsnamen geben dem Untersuchungsgegenstand eine Aura zurück, die weit über den Gegenstand hinausreicht. Unter diese Namen mischen sich nun Eigenschaften, die man mit der Rose üblicherweise nicht verbinden würde wie “Pretty Bad” oder “Just Ugly”. Diese Diskrepanz relativiert die uneingeschränkte Poesie des Gegenstandes und setzt ihn auf eine sachliche Position zurück. Mit der Poetisierung erfolgt also gleichzeitig eine Ironisierung, ein Stück romantische Ironie also, das keinen Zweifel offen lässt.

Innerhalb der einzelnen Serien findet Elisabeth Mehrl also zahlreiche Variationen der Kernthemen, die kaum zu erschöpfen sind.
Angeschnittene Schmuckstücke, die damit aus dem Bild zu verschwinden scheinen, führen den Betrachter über den Bildraum hinaus in einen gedachten Raum, der über das Bild und seine Abbildlichkeit hinausführt. Als Ausschnitte haben die Tafelbilder hier den Charakter von Fenstern.
Mehrteilige Bilder setzen rapportartige Endlosmuster neben illusionistische Abbildungen und haben die Funktion von Suchbildern, denn beinahe gleichartige Gebilde wollen vom Betrachter auf Gleichartigkeit überprüft werden. Dabei wird das Wechselspiel zwischen mimetischer Plastizität und ornamentaler Flächigkeit noch einmal neu entwickelt. Die Wandarbeit Im Reich der Dinge I kombiniert Malerei und Siebdruck und spielt inhaltlich mit Suche und Begehren, indem das Labyrinth sich als ständiger Störfaktor beim Zugriff auf die dargestellten Dinge in Erinnerung bringt. Wenn die Ornamentstruktur, die man als kunstvolle Erfindung kennt, sich jedoch als mikroskopische Zellstruktur entpuppt, wie in der 14-teiligen Arbeit Von den Sehnsüchten, muss man das Verhältnis zwischen Realität und künstlerischer Erfindung noch einmal neu überdenken. Mehrteilige Arbeiten sind bei Elisabeth Mehrl also häufig als Reflex unterschiedlicher Realitätsebenen zu sehen.

Das Schöne als künstlerische Kategorie ist weitgehend aus der Kunst verschwunden und der Darstellung des Wahren gewichen. Politische Kunst, die Ausweitung der künstlerischen Mittel, der Ausdruck des Authentischen, des Kreatürlichen oder Existenziellen sind an ihre Stelle getreten. Was geschieht also, wenn, wie im Falle der Arbeiten Elisabeth Mehrls, diese Kategorie wieder auftaucht? Unreflektiert wäre sie nicht mehr als bloßer Kitsch. Als künstlerisches Konzept jedoch thematisiert sie diese Tatsache.
Elisabeth Mehrl kann auf das barocke trompe l’oeuil zurückgreifen, das sehr explizit konzeptuell ausgerichtet ist. Nichts bleibt hier dem Zufall überlassen, der Betrachter wird im äußersten Maße manipuliert und geblendet. Wenn er dies mit Lust wahrnimmt, wird er sich seiner Schwachstellen deutlich bewusst und kann sie akzeptieren. Kunst übertreibt immer die Realität, überspitzt sie also und kann sie somit erst in scharfen Konturen zeigen. Der Rückgriff auf einen Ästhetizismus der Darstellung, das l’art pour l’art der Installationen und Wandarbeiten Elisabeth Mehrls ist kein Verweis auf das Eigentliche mehr, sondern lenkt davon ab. Im Grunde ist es eine Kunstform der Existenz, eine artifizielle Spielform, die einem Rollen- oder Maskenspiel gleicht.

Dass in der aktuellen Ausstellung gerade die plakativ illusionistischen Arbeiten den Effekt der Täuschung am intensivsten vermitteln, ist ein erstaunliches Phänomen. Gerade dort, wo das Malerische sich relativ markant zurückmeldet, wo Plastizität durch einfache Tricks erzeugt wird, die durchaus offensichtlich als Pinselstrich und Farbe in Erscheinung treten, wirkt die Blendung verblüffend direkt. Runde Perlen und schlangenartige Gebilde sind überwältigend präsent und öffnen eine neue Perspektive in der Malerei Elisabeth Mehrls. Schließlich muss diese Wende für den Betrachter und für die Künstlerin gleichermaßen überraschend sein. Sie ermöglicht einen Übergang in das große Format, garantiert starke Fernwirkung und führt von der Miniatur oder der minutiösen Detailliertheit zur großen Geste.

Kiefersfelden, September 2006

Wandschmuck von Elisabeth Mehrl

Hanne Weskott

Auf die Frage, was Kunst ist und worin ihr Nutzen liegt, gibt es tausende von Antworten, die bei der „schönsten Nebensache der Welt“ beginnen und bei der Inanspruchnahme von Kunst im Rahmen einer gesellschaftlichen Neuordnung und Verbesserung enden. Weil es eben schon lange nicht mehr die Definition von Kunst gibt, kann sie von den unterschiedlichsten Interessensvertretungen in Anspruch genommen werden. Die Kunst aber als nebensächlich zu bezeichnen, heißt, die Welt ganz und gar materialistisch vom reinen Nutzen-Kostenstandpunkt aus zu begreifen. Das reduziert den Menschen auf den Status eines Säugetiers. Eines der wichtigsten Merkmale aber, dass er sich darüber hinaus entwickelt hat, ist seine Fähigkeit, Kunst zu machen. In der Kunst kann er an der Gestaltung der Welt teil haben, kann sie interpretieren und bewahren. Er kann sich ein Bild machen, ein neues erfinden oder versuchen, den bereits vorhandenen nachzueifern und diesen einen neuen Akzent zu geben. Jean Dubuffet hat die Malerei als „das Mittel“ bezeichnet, „um unsere inneren Stimmen“ zum Sprechen zu bringen. In der Kunst kann der Mensch unmittelbarer als mit der Sprache seinen Sehnsüchten Ausdruck verleihen, weil er weder Erklärungen noch logische Begründungen braucht. Wie im Traum sind Raum und Zeit aufs engste miteinander verwoben und in der Konzentration so weit reduziert, dass oftmals eine Form oder eine Farbe schon ausreichen, um komplexe Wünsche oder Vorgänge ins Bild zu setzten.

Eine der Bildserien der letzten Jahre von Elisabeth Mehrl heißt „Von den Sehnsüchten“ und zeigt farbig ganz in den Bildraum eingebundene Gefäße, leere Vasen, die aus dem Farbraum auftauchen und kaum wirklich werden. In ihrer schemenhaften Existenz erinnern sie an die Schattenbilder in Platons Höhlengleichnis, die den gefesselten menschlichen Bewohnern nur einen Abglanz ihrer eigentlichen Schönheit offenbaren, aber die Sehnsucht danach wecken. „Was sonst“, sagt Mehrl, „kann ich schon mit meiner Malerei bewirken, als für einen kurzen Augenblick das Bedürfnis nach Schönheit zu befriedigen.“ Sie hat ihre Schattenformen von den Realitätspartikeln gereinigt, die und normalerweise den Blick auf die Idealform verstellen, und so die Fesseln ein wenig gelockert, die bei Platon die Menschen daran hindern, die wahre Gestalt der Dinge zu sehen. In die Gefäße können wir jetzt alles hineinpacken, was wir uns erträumen. Den Traum selbst aber stellen sie nicht dar. Dafür hatte die Künstlerin noch einen Schritt weiter zu gehen und die Furch vor dem Banalen abzulegen. Um die Antwort auf ihre Frage nach dem Sinn und Zweck ihres künstlerischen Tuns konnte sie sich eine Weile drücken, aber dann musste sie sich eingestehen, dass Bilder auch heute, trotz aller konzeptuellen Verweigerung, letzenendes nichts anderes als Wandschmuck sind. Das Bild über dem Sofa, über dem Kamin, über der Anrichte gehört vielleicht der Vergangenheit an, aber nicht weil die Bilder nicht mehr an der Wand hängen, sondern weil das genannte Mobiliar seltener geworden ist.

Ein wenig als Katalysator dieser Gedanken wirkte die bevorstehende Ausstellung im Rosenheimer Kunstverein, der in der Kunstmühle zwar einen schönen, lichten, aber für Malerei dennoch kaum geeigneten Raum hat. Die dominante Architektur lässt Bilder leicht als Lückenbüßer erscheinen. Weil sich Elisabeth Mehrl aber schon einmal dazu durchgerungen hatte, der Banalität, in der sich die Kunst ebenso wie der Mensch bewegt, positiv zu begegnen, versucht sie sich sozusagen in Affirmation und sagte dem hehren Gedanken des white cube ebenso adieu wie dem miniaturisierten Loft-Charme des Kunstvereins. Sie beschloss ihrer Kunst einen feierlichen Auftritt zu bereiten, mit einem roten Teppich und roten Farbflächen an den Wänden. Was aber passt am besten zu Rot oder vielmehr, was wird gern auf rotem Samt präsentiert? Schmuck. Bei Mehrl wird er, weil er gemalt ist, zum Wandschmuck.

Sich zu schmücken, um so dem Alltag ein wenig zu entkommen, ist ebenso ein Grundbedürfnis des Menschen wie Malen. Elisabeth Mehrl verbindet mit ihrem „Wandschmuck“ auf ideale Weise beides. Ihre Schmuckstücke, Ringe, eine Perlenkette, ein Armreif, erscheinen extrem vergrößert auf Bildern in sehr eigenwilligen Formaten wie schmalen Rechtecken oder kleinen Quadraten. Wie bei der Serie „Von den Sehnsüchten“ sind die Gegenstände ganz in den Farbraum eingebunden. Mehrl erreicht das durch sorgfältiges Übereinanderlegen von lasierenden Schichten, ein Arbeitsvorgang, den sie bis zu 60 oder 70 Mal wiederholt. Die Schmuckstücke werden so wie die Gefäße wieder bis zu einem gewissen Grad auf ein Schattendasein reduziert, um jede allzu große und damit einengende Deutlichkeit zu vermeiden. Mehrl geht mit ihnen sozusagen den umgekehrten Weg, den Magritte mit seinem berühmten Pfeifenbild beschritten hat: Die Pfeife, realistisch ins Bild gesetzt, verliert ihre scheinbare Eindeutigkeit durch die Unterschrift, die uns vor der Falle warnt, in die wir so gerne tappen, wenn wir meinen, alleine durch die Begegnung eines Gegenstandes im Bild den Inhalt erklärt zu haben. Mehrl hingegen reduziert aus demselben Grund seine Präsenz. Die Wahl des Gegenstandes ist bei ihr zwar nicht beliebig, aber trotzdem will sie vermeiden, dass unser Blick an ihm kleben bleibt. Das Bild soll sich wie ein Fenster öffnen, damit wir über die realitätsgrenze hinaus in das Land der Sehnsüchte schauen können. Ein wenig erhalten auf diese Weise die Ringe, die Armreifen oder die Perlenkette einen symbolischen Charakter.

Die Inszenierung im Raum will das betonen, gleichzeitig aber durch das nicht zu übersehende Missverhältnis zwischen aufwendiger Dekoration und winzigen Kunstwerken die Feierlichkeit ironisch brechen. Deshalb schließt die Ausstellung mit lose hingeworfenen und an die Wand gelehnten bunten Hula-Hoop-Reifen. Jedes Ding ist ein Komplex aus Farben und Formen. Insofern ist auch ein Bild ein Ding und ein Haufen Reifen in den Grundfarben ein Bild. Das nach dem Gesetz des Zufalls entstanden ist. Den Unterschied zu finden, bleibt dem Betrachter überlassen.

Elisabeth Mehrl

Das Maß der Dinge

Textbeitrag: Eva Müller
Hrsg. Gedok München, 1998

Das Maß der Dinge

Eva Müller

Zur Ausstellung von Elisabeth Mehrl und Danaé Xynias, Alter Bot. Garten München,

Ein kategorischer Titel. Wie werden die Dinge gemessen? Welches Maß wird angelegt?

Sehen wir uns die Bilder von Elisabeth Mehrl und Danaé Xynias an. Auf den ersten Blick fallen die extrem verschiedenen Formate ins Auge.

Auf großen Leinwänden zeigt E. Mehrl Gefäße, sofern wir sie erkennen können. Je nach Standpunkt sind sie nämlich mehr oder weniger sichtbar. Sie entziehen sich bewusst jeder Fixierung, tauchen auf und verschwinden wieder. Wie sollen wir da Maß nehmen?

Danaé Xynias Landschaften sind extrem kleine Ausschnitte. Sie stellt dieses Format eindeutig zwischen die vertrauten Pole klassischer Landschaftsmalerei und dem Miniaturbild.

Unendliche Weite ganz reduziert, kleine Dinge sehr groß herausgestellt. Das übliche Maß der Dinge stellen damit beide Künstlerinnen in Frage. Beunruhigung entsteht. Die gewonnene Orientierungslosigkeit lässt sich für neue Erkenntnisse nutzen.

Neben seinem Gebrauchswert galt das Gefäß bereits in der Antike als Sinnbild des Menschen. Seine plastischen Ausformungen werden mit organischen Begriffen belegt – Fuß, Bauch, Schulter, Hals, Lippe. In Elisabeth Mehrls Arbeiten ist kein physischer Prozess nachvollziehbar, hier geht es um ein geistiges Bild des Menschen, seine Hoffnungen und Sehnsüchte. In unzähligen Schritten baut sie ein Gefäß auf, lässt es verschwinden, holt es wider hervor, bis es zuletzt so im Bild schwebt, wie wir es jetzt sehen. Der Zustand bleibt ein veränderlicher. Nichts ist sicher – ein unerbittliches Maß.

Die Bilder von D. Xynias sind schön – sie entsprechen wie E. Mehrls Gefäße klassischen Schönheitsgesetzten, z. B. dem rechten Verhältnis der Proportion. Aber es gelingt uns nicht zu versinken, sie halten uns auf Distanz. Kein Zeichen erinnert an menschliche Existenz – außer wir erkennen, dass ein solches Umfeld nicht natürlich gewachsen, die Monokultur ihre Spuren hinterlassen hat. Ein Gefühl der Zeitlosigkeit entsteht. Klug sind die Abstraktionswege der Moderne verarbeitet – und die Entscheidung für dies höchst unzeitgemäße Sujet gefallen.

„Das Maß der Dinge – Malerei“: In dieser Gegenüberstellung eine kühne Behauptung. Ein totgesagtes Medium, das in der momentanen Kunstdiskussion, wenn überhaupt, nur noch am Rande auftaucht, hier als Maß der Dinge. Welche Kraft noch immer, und immer wieder in der Malerei steckt, zeigen Elisabeth Mehrl und Danaé Xynias. Das Bewusstsein für die eigene künstlerische Intention und die Wahl der entsprechenden malerischen Mittel bzw. deren gekonnte Umsetzung fließen zusammen. Ein Glücksfall, ein Maßstab.

Elisabeth Mehrl

Bilder

Textbeitrag: Dr. Helmut Kronthaler
48 Seiten, 19 Abbildungen
Hrsg. Städtische Galerie Rosenheim, 1992

Sinnbilder des menschlichen Lebens

Helmut Kronthaler

Bilder, die und vom Menschen, von seinen Lebensumständen, Vorstellungen, Sehnsüchten oder Hoffnungen erzählen, sind so alt wie die Kunst selbst. Von der prähistorischen Höhlenmalerei bis zur aktuellen Gegenwart sind sie eine Konstante in der Geschichte der bildenden Kunst. Doch jede historische Zeit setzt andere inhaltliche und formale Schwerpunkte in ihrem Bild vom Menschen. So zeigen ihn manche Darstellungen ganz realistisch in seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt und seinen Lebensbedingungen oder reflektieren sein Verhältnis zu den „Göttern“ und zu übernatürlichen Erscheinungen. Andere präsentieren ihn selbstbewusst als Individuum mit den Zeichen von Würde und Macht oder auch furchtsam vor den Unwägbarkeiten seines Schicksals. Und manchmal – und dies ist gerade in der Gegenwart häufig der Fall – wählen die Künstler nur einfache Abstraktionen und Symbole, um uns ihre Gedanken über das menschliche Leben im Bild zu vermitteln.

Solche Sinnbilder des Menschen oder des menschlichen Lebens an sich versucht auch Elisabeth Mehrl in ihrer Bildwelt zur Darstellung zu bringen. So zeigt uns die Künstlerin in ihren neueren Arbeiten oft einzelne Gefäße – Vasen oder Schalen –, die allein oder in Gruppen vor einer räumlich nicht weiter differenzierten Bildfläche erscheinen. Diese teils ausgemalten, teils aber auch nur als Konturzeichnung gesetzten Gefäße sind leer; im Verständnis von Elisabeth Mehrl stehen sie bereit, warten sie auf ihre „Füllung“, ihren eigentlichen Sinn. Somit sind sie Symbole, Sinnbilder einer (menschlichen) Erwartungshaltung, bildhafter Ausdruck einer Idee.

Die runden, weichen Formen der Vasen und Schalen werden in der Sichtweise der Malerin zugleich zu Chiffren eines weiblichen Prinzips. Dieses tritt im bisherigen Schaffen von Elisabeth Mehrl in einen deutlichen Gegensatz zu früheren Bildformulierungen, die das Menschliche in einer hochrechteckigen, blockhaften und kantigen Gestalt vorführten. Im Kontrast zu den neueren Bildern lassen sich diese Blöcke auch als männliches Zeichen verstehen.

Elisabeth Mehrl gibt ihren Bildern nur selten Titel. Als einfache Sinnbilder benötigen sie diese in der Regel auch nicht, da sie ja Menschliches an sich repräsentieren bzw. zum Ausdruck kommen lassen sollen. Dennoch gibt es unter den neueren Arbeiten auch Gemälde, die eine präzisere Art von Inhaltlichkeit demonstrieren. So zeigt sich das „Sterntalerbild“ fast in der Form eines Gleichnisses: Wie im Märchen regnen die Sterntaler vom Himmel herab, doch sie fallen nicht in das Gefäß. Noch bilden die Schalen und die Taler nur ein Nebeneinander, doch eine vage Hoffnung für die Zukunft, eine Utopie der zumindest möglichen Vereinigung ist in der Darstellung ebenfalls anvisiert.

Die „Narrenkappen“, die in einer der neuesten Arbeiten der Künstlerin an die Stelle der Vasen treten, präsentieren sich dagegen eher als eine Art von humorvollem Kommentar. Auch sie thematisieren Menschliches, entlarven mit einem leicht ironischen und genüsslichen Schmunzeln gerade auch in diesen Mützen zum Ausdruck kommende Eitelkeit in unserer Welt.

Wesentlicher noch als diese inhaltlichen Aspekte ist jedoch die rein malerische Qualität der Bilder von Elisabeth Mehrl. Ihre Bilder sind immer das Ergebnis eines längeren Prozesses. Die Bildfläche wird meist mehrmals übermalt, dadurch immer mehr „verdichtet“ und in ihrer Struktur geschlossener. Gefäße und Linien werden nach kompositorischen Gesichtspunkten im Bild arrangiert, verschwinden wieder unter einer Übermalung, erscheinen andernorts und in der Form gewandelt erneut. Diese Zwischenstadien bleiben oftmals sichtbar und erzählen so dem Betrachter gleichsam die „Biographie“ des einzelnen Werkes.

Eigentlich kennen die Werke von Elisabeth Mehrl daher auch keinen endgültigen Zustand. Die Malerin ist immer wieder auf der Suche nach der richtigen Komposition, nach dem „stimmigen“ Bild, das sie sich – manchmal gar in einer Art von Besessenheit – zu erarbeiten versucht. Doch trotz dieses Ringens um das fertige Bild ist das Malen hier kein rein aus dem Emotionalen abgeleiteter Vorgang. Die Bilder zeigen deutlich auch die Spuren der Reflexion ihrer Schöpferin. So sind die neueren Arbeiten meist als Zweiergruppe oder als serielle Reihe arrangiert. Diese Kombinationen, die in früheren Gemälden von Elisabeth Mehrl so nicht anzutreffen waren, bedingen eine Art von doppelter Konfrontation. Zum einen kontrastiert das jeweilige Gefäß mit seinem malerisch dichten Bildgrund, zum anderen werden zwei oder mehrere farblich gegensätzlich behandelte Tafeln oder Farbfelder gegeneinandergestellt.

Aus diesem kompositorischen Verfahren ergeben sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wobei für die Wirkung der einzelnen Arbeiten gerade die Wahl der einzelnen Farbe von besonderer Bedeutung ist. So scheut Elisabeth Mehrl hier auch nicht den Einsatz des harten Komplementärkontrastes von Blau und Gelb, der in seiner leuchtend hervortretenden Qualität jedoch eher die Ausnahme darstellt. Meist verbleibt die Malerin in ihrer Arbeit bei gebrocheneren, dunkleren und erdigeren Farben, bei gedämpfteren Kontrasten, die auch in ihrer emotionalen Wirkung auf den Betrachter zurückhaltender erscheinen.

Die Bildwelt von Elisabeth Mehrl entsteht aus dem Zusammenspiel ihrer formalen, aus der Wahl der Farben, der Art des Farbauftrags und der Komposition entwickelten Materialität auf der einen und der in der symbolischen Verwendung der Gefäße angedeuteten Inhaltlichkeit auf der anderen Seite. In dieser Kombination von Form und Inhalt verdichten sich ihre Gemälde zu rein subjektiven Kommentaren über unsere Welt, die jedoch in ihrer sinnbildhaften Struktur durchaus auch eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen können.

Elisabeth Mehrl

Werkwechsel

Textbeiträge: Dr. Elisabeth v. Samsonow, Elisabeth Mehrl
36 Seiten, 35 Abbildungen
Hrsg. Bundes-Gedok, 1991

Notwendig erfunden

Elisabeth von Samsonow

Es ist gelebt wie gemalt. Es ist alles zu klein und zu wenig, die Zeichen stehen auf Sturm und Sprengen, heraus aus dem Rahmen. Da könnte noch ein Wichtigeres sein in dem noch nicht Gefaßten. Die ersten Bilder von Elisabeth Mehrl sind voll von dieser Aufbruchstimmung, die zusammengedrängten Farbbündel am oberen Bildrand wollen hoch, hoch hinaus in ein Verheißungsvolles. Aufwärts gegen die Schwerkraft eines Körpers wird gearbeitet, der fast das Bild ausfüllt mit seiner blinkenden dunklen, schweren Größe. Die eruptiven Farbladungen wirken wie Lebensgrüße – „Frühling lässt sein BLAUES Band flattern durch die Lüfte“.

Eine Energie bricht durch, die das ganze Malerinnenleben halten muss. Die Klarheit und durch sparsame Setzungen erhöhte Schönheit der Farben steht dabei in einiger Spannung zu den durch vielfache Übermalungen von wildem inneren Sausen erfüllten Flächen und Linien. Zweifellos ein guter Anfang. Zumindest einer, der nicht ohne Folge für den Körperblock bleibt, der nämlich jetzt in Bewegung gerät durch den Druck, der sich an seiner Oberfläche entlädt: er fängt an zu tanzen, breitet die Arme aus und hoch, bewillkommt Veränderung und Neues.

Diese Bilder bis etwa 1988 bleiben bestimmt von kräftigen, raumfüllenden Körpern, deren innere Turbulenz in den fahrigen Lineamenten an ihren Rändern sichtbar wird, wie überhaupt der RAND, die RANDLINIE, die GRENZE des Körpers etwas ist, auf das Elisabeth Mehrl wie hypnotisiert schaut und reagiert: ein großes Mysterium.

Das Ineinander und Aneinander von Räumen und Dingen, von Farbe und Zeichnung, schließlich das Verhältnis eines Geformten zu einem Ungeformten, Nicht-Geformten (zur Unendlichkeit des Hintergrunds), das ist das Problem der Kunst, für das Elisabeth Mehrl Lösungsversuche malerisch erfindet. Welche Form hat DER KÖRPER, in welcher Form kann er am besten Darstellung des Menschen sein, ohne dieser oder jener Mensch zu sein, sondern besser eine imaginäre Spiegelform, die als „Typus von Mensch“ den Betrachter zur Identifikation mit Leichtigkeit verführt deshalb, weil diese Form die Qualität einer Ur-Form hat: Hochaufragendheit (Zweibeinigkeit), (farbige) Dichte (Verkörperung), (farbige) Luftigkeit (Raum), vielleicht noch zwei Augenkringel übereinander (eins für die Wirklichkeit und noch eins für die Wirklichkeit), oder ein Samenkorn innen, überhaupt ein Innenleben, eine schöne Mandorla, aus der alle phantastischen Seelengeburten herauskommen könnten.

Ruhe kehrt ein.

Die Form ist das Gehäuse der Malerin, und an diesem arbeitet sie. Sie stellt sie dar als eine notwendige, wie die Köcherfliege ihre Larvenbehälter herstellt, so notwendig und er– und gefunden, eine Phantasie über das Elementare.

1989 hat Elisabeth Mehrl eine Erleuchtung, eine blitzartige Erkenntnis des Inhalts: male nicht EINE Form, sondern mindesten ZWEI. Zwei aber sind die Eltern aller Dinge. In der elementaren Beziehung zweier Formen untereinander können alle oder zumindest sehr viele andere Beziehungen ausgedrückt werden, weshalb nun Elisabeth Mehrl in die Bildlogik der Vergesellschaftung der Formen hineingeriet, in der sie, durch den Zusammenhang sich malend, die ersten Radikale entdeckt: ein Samenkorn mit einem Kreis darin ergibt ein Auge, die zackenförmigen Wimpern des Auges führen zur Krone, die halbkreisförmig abgeschlossene Krone führt zur Tulpe, von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit.

Um die Leuchtkraft der Farben zu erhöhen und also, um die Bedeutung dieser Einfachheiten zu zelebrieren, bestäubt und beklebt sie Elisabeth Mehrl mit Pigmenten, mit dem heiligen Staub der Malerei: das reine Ultramarin, das reine Indischrot, das reine Schweinfurtergrün erheben sich wie Solitäre auf den matten, schrundig gemalten Gründen, wie etwas Lebendiges, das das Auge erregt nicht nur durch die Wahrheit der erfundenen Form sondern auch durch die Strahlungsintensität des Farbpulvers.

Die Malerin als gute Alchemistin, die sie sein muss, beginnt die Form von Unnötigem zu befreien und erlöst auch gleich das Malmaterial vom dicken Bindemittel, damit sich die vibrierende Farbe entfalten kann wie auf Schmetterlingsflügeln.

Farbe aus Tuben kann sein wie Dosennahrung, zerwalzt und leblos und ersoffen in der Konserve. Wenn sie statt Blau aus der Tube ein feines Mehl aus Kaolin, Quarz, Soda, Glaubersalz, Pech und Schwefel benutzt, welches bei 800 Grad gebrannt uns ultramarin leuchtet, dann folgt Elisabeth Mehrl darin dem Sog dieser Vergesellschaftung der Dinge, der sie sich mit der Setzung der ZWEI ausgeliefert hat. Denn für die notwendige Form muss eine farbige Substanz gefunden werden, die ihr entspricht. Und ein gemaltes Blau ist kein gedachtes Blau.

Die Bilder können verwickeltere Probleme darstellen als die Philosophie, sie präsentieren sie in ewiger Gleichzeitigkeit und Vielschichtigkeit (im Sinne der vielen Malschichten und im Sinne der vielen Bedeutungen, die sich in einem unendlichen Assoziationsfeld Hand in Hand spazieren führen). Aber genauso wie die Philosophie sucht die Malerei nach Ursprünglichem, Erstursprünglichem, nach Wert und Würde des Prinzipiellen. Elisabeth Mehrls „unscheinbare Bilder“ (im Titel einer Ausstellung in München) sind ins Hieroglyphische zurückgemalte fruchtbare Bildzeichen von ersehnter Primitivität. Und gerade daraus beziehen sie ihre Sensationalität, der Entdeckung Amerikas, der shocking Glücksempfindung gleich, die man hat bei der Auffindung dessen, was immer schon da war.

Elisabeth Mehrl

Malerei

Textbeitrag: Dr. Hanne Weskott
28 Seiten, 14 Abbildungen
Hrsg. Galerie Anais München, 1989

Hanne Weskott

Neue Bilder von Elisabeth Mehrl

„Erst nach Jahren der Vorbereitung hat der junge Maler das Recht, mit Farben umzugehen … Dann wird er die Farben mit Unterscheidungsvermögen verwenden. Er wird sie mit einer natürlichen, ungekünstelten und vollempfundenen Zeichnung setzen …“

Henri Matisse drückt in diesen Zeilen mit leicht schulmeisterlichem Unterton das aus, was Generationen von Malern angestrebt haben: Die Einheit von Malerei und Zeichnung, von Farbe und Form, von Figur und Grund, von Emotion und Intellekt. Für Matisse war die Sache klar, wenn auch nicht einfach: Nur wer fähig ist, eine strenge „Selbsterziehung“ bis zum Ende durchzuhalten, wird ans Ziel gelangen.

Auch heute noch, wo das Handwerkliche eher einen negativen Beigeschmack hat, wo bewusst gegen die Gesetze der verwendeten Medien verstoßen wird, gilt, was Matisse vor rund 50 Jahren formuliert hat. Die Erfahrung lehrt, dass der Kampf gegen das Medium im Medium selbst gerade in der Malerei oft ins Gegenteil umschlägt und die Maler/innen ihrem Medium erliegen. Bei Elisabeth Mehrl war das wohl schon zu Anfang so. Malerei war ihr Thema und dagegen anzukämpfen wäre sinnlos gewesen. Was die Malerei anbelangt, war sie eindeutig emotional besetzt und hat sich bis heute einiges von der von Matisse geforderten Selbstdisziplin auferlegt. Auch in ihren neuen Bildern ist das zu erkennen, wenn aus dem malerisch-delikaten Grund die Form auftaucht, und sie aus der Farbe ein Bild gestaltet.

Aber neben der Liebe zur freien Malerei, hat sich Elisabeth Mehrl selbst die Aufgabe gestellt, eine Ausdrucksform für die menschliche Figur zu finden und diese ins Bild zu integrieren. Dabei geht es nicht um ein Porträt alter Schule, auch nicht um eines in der freien Manier von Matisse, sondern um Abstraktionen. Mehrl glaubt diese Form in einem hochrechteckigen Block gefunden zu haben, den sie als einfarbige, einschichtige Fläche vor den malerischen Grund setzt. Manchmal konfrontiert sie ihn mit seinem „Negativbild“, einer bloßen Umrisszeichnung. Diese Bipolarität gehört zur Thematik der Bilder des letzten Jahres und hat schon zu neuen, hababstrakten Formen für die menschliche Figur geführt. Im Idealfall wird alles eins, gefüllte Form und Binnenzeichnung, Figur und Grund. Jedes Bild ist für Elisabeth Mehrl ein Schritt auf diesem Wege. Man muss für die Utopie leben und sich nicht nur an die Gegenwart verschwenden, oder anders ausgedrückt, die Gegenwart muss die Hoffnung auf die Zukunft beinhalten. Diese Sätze stammen aus der politischen Diskussion der vergangenen Wochen und können doch einschränkungslos für Kunst übernommen werden.

H. W. im November 1989

Elisabeth Mehrl

Bilder in Mischtechnik

36 Seiten, 14 Abbildungen
Hrsg. Arbeitskreis 68, Wasserburg, 1985